Prügel-Exzess oder Notwehr?
Laut dem Mordermittler sind die Aussagen der drei Jungen „glaubhaft“. Sie seien erschüttert über den Vorfall.
Düsseldorf. Eines steht fest: Das Opfer der Kantholz-Attacke an der Straßenbahn-Haltestelle wird selbst nicht so bald aussagen können, was sich am Freitagabend gegen 23.30 Uhr tatsächlich in Unterrath ereignet hat. „Sein Zustand ist weiterhin unverändert: sehr, sehr schlecht“, sagt Mordermittler Ralf Finke am Sonntag bei einer Pressekonferenz. „Die Schäden sind noch überhaupt nicht absehbar.“ Falls der 44-Jährige überhaupt wieder aus dem Koma erwachen sollte.
Der Ausgang des Abends ist eine Tragödie — keine Frage. Doch während am Samstag bei der Fahndung der Polizei alles noch eindeutig nach einer brutalen Prügel-Attacke gewalttätiger Jugendlicher aussah, erscheint der Fall inzwischen weitaus weniger klar. Staatsanwalt Christoph Kumpa: „Wir können eine Notwehrsituation nicht widerlegen.“
An der Haltestelle Unterrath S-Bahnhof waren der 44-Jährige und seine Lebensgefährtin um 23.20 Uhr in die Bahn der Linie 707 Richtung Hauptbahnhof eingestiegen. Er hatte sie von der Arbeit in einer Kneipe abgeholt, war stark angetrunken. Sie wollte nach Hause, er lieber noch weiter trinken.
An der Station Eckener Straße stiegen dann auch die drei Jugendlichen zu. Sie waren zuvor am Flughafen gewesen, hatten bei McDonald’s herumgehangen, waren zu Fuß ein Stück zurückgelaufen und wollten dann die Bahn bis nach Hause nehmen. Sie setzten sich ganz hinten auf das Podest, hörten Musik. „Die war nach ihrer Wahrnehmung aber nicht laut“, erklärt Mordermittler Ralf Finke. Das zumindest bestätigt die Lebensgefährtin des späteren Opfers — er habe sich trotzdem sehr darüber aufgeregt, ihre Versuche, ihn zu beschwichtigen, hätten nicht gefruchtet. Er sei schon in aggressiver Stimmung gewesen.
Das passt zu den Schilderungen der drei 16- und 17-Jährigen, sie hätten das Vierkantholz aus der Bahn aus Angst vor dem 44-Jährigen mitgenommen. „Ob auch sie provoziert haben, dazu wollten sie sich nicht so wirklich äußern“, sagt Finke. Als Letzter sei an der Station „An der Piwipp“ dann der 17-Jährige mit dem Holz in der Hand ausgestiegen — als plötzlich der Mann von hinten kam und mit dem Gürtel nach dessen Kopf geschlagen habe. Der Jugendliche habe die Hand noch schützend davor gehalten — in der Tat, so Finke, hat er eine leichte Verletzung an einem Finger. Und dann, so schildern es die Jungen laut Chefermittler „glaubhaft und übereinstimmend“, schlug der 17-Jährige zweimal mit dem Vierkantholz zu. Einmal zur Rippe, einmal zum Kopf. „Seinen eigenen Angaben zufolge in Selbstverteidigungsabsicht“, erklärt Finke.
Die Lebensgefährtin hat nach eigenen Angaben den Tathergang selbst nicht beobachtet. Sie kam erst hinzu, als ihr Freund schon am Boden lag. Das gilt auch für einen weiteren Zeugen. Die 52-Jährige bestätigt aber, dass einer der Jugendlichen noch anbot, einen Rettungswagen zu rufen — und dass sie ihn fortjagte. Die Frau händigte den Ermittlern inzwischen auch den besagten Gürtel aus, den sie nach dem Vorfall mit nach Hause genommen hatte. Er habe dem 44-Jährigen nicht gepasst, sagte sie aus — warum er ihn dennoch bei sich hatte, wissen die Ermittler nicht.
Die drei Jungen offenbarten sich am Samstag ihren Eltern, als ihnen durch die massive Berichterstattung in Rundfunk und Online-Medien die Tragweite des Geschehens bewusst wurde. Gemeinsam meldeten sie sich auf der Wache Derendorf. „Sie wirkten sehr erschüttert“, sagt Finke. Die Jungen stammten aus intakten sozialen Verhältnissen, keiner von ihnen sei als aggressiv bekannt. Der 17-jährige Hauptverdächtige habe lediglich mal ein Fahrrad geklaut. Auch das Opfer ist noch nie durch Rohheitstaten aufgefallen.
„Der Knackpunkt ist, dass wir keine unabhängigen Zeugen haben“, sagt Staatsanwalt Christoph Kumpa. Wer Hinweise zur Tat geben kann, wird daher dringend gebeten, sich unter Tel. 8700 zu melden.