Bedrohte Zwerggänse: Von Lappland an den Rhein

Mit Flugzeugen sollen sie auf eine vergessene Zugroute gelockt und vor dem Aussterben bewahrt werden.

Niederrhein. Mit zwei Ultraleichtflugzeugen wollen Tierschützer stark bedrohte skandinavische Zwerggänse auf eine vergessene Zugroute locken und so vor dem Aussterben schützen. Für das spektakuläre Artenschutzprojekt sollen im nordschwedischen Lappland im Mai 25 Küken künstlich ausgebrütet, an den Menschen und an ein verändertes Flugzeug gewöhnt werden. Mitte August - so sieht es der Plan vor - werden die Zugvögel dann hinter dem Flugzeug in Richtung Winterquartier zum Niederrhein aufbrechen.

Die skandinavische Zwerggans (Anser erythropus) zählt zu den am stärksten gefährdeten Vogelarten Europas. Wurde der Bestand 1950 noch auf rund 10 000 Tiere geschätzt, leben heute in Skandinavien nach Auskunft des deutschen Bundesamts für Naturschutz (BfN) nur noch weniger als 100 Vögel.

"Obwohl die Art weltweit geschützt ist, werden die Zwerggänse während des Zuges und in den Überwinterungsgebieten bejagt", begründet Projektleiter Wolfgang Scholze das Vorhaben. Grund dafür sei die ungeheure Ähnlichkeit zur ebenfalls grauen Blässgans (Anser albifrons), die uneingeschränkt gejagt werden darf. Aus der Ferne seien die markanten Merkmale wie die Größe von maximal 68 Zentimetern, die gelben Augenringe und der rosa Schnabel vermutlich nicht erkennbar.

Mit der veränderten Route wollen die Tierschützer sowohl der Blässgans als auch den Jägern aus dem Wege gehen. Während die letzten wild lebenden Tiere Richtung Balkanstaaten fliegen, fanden die Artenschützer in alten Beobachtungsdaten eine traditionelle Zwerggans-Wanderroute von Lappland entlang der schwedischen Küste zur deutschen Nordseeküste. Diese alte Zugroute will das Projekt wiederbeleben, Endstation soll die Auenlandschaft Bislicher Insel am Niederrhein sein - eines der wichtigsten Überwinterungsgebiete für arktische Gänse in Deutschland.

Dazu werden von Mitte Mai an die 25 Eier genetisch getesteter Zwerggänse nach Nordschweden gebracht und ausgebrütet. Um die Tiere an Mensch und Maschine zu gewöhnen, wird, noch bevor die Küken das Licht der Welt erbli-cken, der Flugzeugmotor angeworfen. Bei den begleitenden Tierschützern als Elternersatz für die Gänse ist Kreativität gefragt: "Je besser wir uns anpassen, desto größer ist ihr Vertrauen in uns", sagt Scholze. Eine Kutte wird die menschlichen Konturen, also Kopf, Arme und Beine, verschleiern. Zudem baden, tauchen, schlafen und essen Mensch und Tier miteinander. Selbst das Schnattern wird so gut wie möglich imitiert. "Gagagagaga, wiwiwiwi", demonstriert Scholze seine Fähigkeiten.

Die Crew - bestehend aus zwei Ultraleichtflugzeugen, vier Piloten und einer Begleitung auf Landwegen - plant, anfangs bis zu 100 Kilometer pro Etappe zurückzulegen und dies später auf 250 Kilometer auszubauen.

Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit soll bei 55 Kilometern pro Stunde in einer Flughöhe zwischen 200 und 300 Metern liegen. Für die Strecke von mehr als 2000 Kilometern sind anderthalb Monate veranschlagt. Das Flugzeug wurde mit einem stärkeren Motor ausgerüstet. Damit es auch auch auf Wasser landen kann, wurde auf der Unterseite ein Schlauchboot montiert.

Ohne menschliche Hilfe sollen die Zwerggänse im folgenden Frühjahr zurück nach Lappland fliegen. "Den Weg haben sie sich auf dem Hinflug für immer eingeprägt und werden ihn an ihre Nachkommen weitergeben", erklärt Scholze. Durch ähnliche Projekte wurden in den vergangenen Jahren in den USA die Trompeterschwäne und die Schreikraniche gerettet und damit das Konzept bestätigt. Sollte die vom Deutschen Aero Club initiierte "Aktion Zwerggans" erfolgreich sein, wird das Projekt auf alle Zwerggansarten ausgebaut.