Das Spielzeug macht Ferien

Spielzeugfreier Kindergarten: Für drei Monate verschwindet in der Kita Kattendahl sämtliches Spielzeug aus den Schränken.

Hochdahl. "Wer möchte ein Eis?", ruft der Eisverkäufer in die Runde. "Ich", schallt es gleich siebenfach zurück. Schneller, als er gucken kann, ist die Ladentheke dicht umringt. Der Eisdielenbesitzer - stolz wie Oskar - reicht einen Becher nach dem anderen heraus.

"Boah, danke", grinst die Meute übers ganze Gesicht. Doch halt, irgendetwas stimmt hier nicht. Denn statt Pötten voller Eis halten die Kinder leere Joghurtbecher in den Händen, und Mirsad, der Eisdielenbesitzer, steht auch nicht hinterm Tresen, sondern in einem Umzugskarton.

"Eingespielt war das nicht", klärt Lieselotte Sperling auf. "Dieses Spiel haben sich die Kinder selbst ausgedacht." Die Pädagogin ist Leiterin der Hochdahler Tagesstätte Kattendahl und begleitet mit ihren Erzieherinnen ein besonderes Projekt: den spielzeugfreien Kindergarten.

Zum dritten Mal seit der Premiere vor zwei Jahren verschwinden die Spielsachen, die sich in der Einrichtung an der Dörpfeldstraße sonst türmen, für drei Monate in den Schränken und Abstellkammern. "Spielsachen müssen auch mal Ferien machen", so Lieselotte Sperling. "Am 29.Februar war’s so weit. Da haben die Kinder alles weggeräumt. Am 31.Mai ist der Urlaub zu Ende."

"Ohne Spielzeug wird eine Situation geschaffen, in der die Kinder eigene Ideen entwickeln und umsetzen", beschreibt Sperling. "Die Erzieherinnen sind dabei gefordert, sich selbst zurückzuhalten, denn jegliche Initiative geht von den Kindern aus." So finde eine intensive ganzheitliche Förderung statt - sowohl im sprachlichen als auch sozialen, kreativen und motorischen Bereich.

Alles, was passiert, von der Entwicklung bis zur Umsetzung eigener oder fremder Ideen, müsse besprochen, ausgehandelt, vereinbart und in die Tat umgesetzt werden. "Sollte es mal langweilig werden, ist das durchaus gewollt. Kinder sollen ja lernen, aus der Unzufriedenheit mit einer Situation heraus eigene Ideen zu entwickeln und nicht durch Ersatzangebote der Situation auszuweichen."

Doch von Langeweile ist nichts zu spüren. Während die "Gänsegruppe" um Eisverkäufer Mirsad fleißig Rollenspiele übt, ist die "Entengruppe" der Allerkleinsten im Toilettenpapier-Rausch. "Wie lang ist so ’ne Rolle eigentlich?", fragt sich Constantin und zieht einen endlos langen Papierschwanz hinter sich her.

Nachdem sich Kinder als auch Erzieherinnen im ersten Jahr noch an die neue Situation gewöhnen mussten, ist das Projekt inzwischen ein Erfolg. "Die Kleinen lernen von den Großen", freut sich Lieselotte Sperling. "Nicht selten wird das hier Erlebte von den Kindern auch zu Hause umgesetzt. Und: Wenn wir am 31. Mai die Türen zu den Spielsachen öffnen, wird sicher wieder jede Menge drin bleiben."