Hochdahl: Ein Mann auf der Motorhaube und andere Ungereimtheiten

Wegen räuberischer Erpressung war ein Erkrather 2007 verurteilt worden. Das Berufungsverfahren endete jetzt mit einer Überraschung.

Hochdahl. Die Situation des aufgeregten BMW-Fahrers, der mit einem jungen Mann auf der Motorhaube bei ihnen vorfuhr, war für die Polizisten der Wache an der Sedentaler Straße so außergewöhnlich, dass sie ihnen auch zwei Jahre später noch bestens in Erinnerung ist.

Die Beamten berichteten jetzt vor dem Wuppertaler Landgericht von den Ereignissen des 15.August 2006, die im Mittelpunkt des Berufungsverfahrens um zwei junge Männer aus Erkrath standen.

Das Amtsgericht Velbert hatte den damals 23 Jahre alten Angeklagten - es handelte sich um den Mann auf der Motorhaube - im Juli 2007 wegen räuberischer Erpressung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Jetzt wurde die Berufung verhandelt.

Es galt zu klären, wer Täter und wer Opfer ist. Auf den ersten Blick kurios genug ist, dass der junge Mann, der damals auf der Motorhaube lag, jetzt auf der Anklagebank Platz nehmen musste, während der Fahrer des Wagens verängstigt als Zeuge vorgeführt wurde.

Dem 24 Jahre alten Angeklagten wird vorgeworfen, seinen 27-jährigen Bekannten massiv bedroht zu haben. Er wollte Geld von ihm - ob berechtigt oder nicht, konnte das Gericht erneut nicht klären, da beide Männer zu diesem Punkt schwiegen.

Unstrittig schien, dass der Angeklagte eben wegen dieser Geldforderung auf den 27-Jährigen zuging, als dieser sich seinem Auto in der Tiefgarage an der Stahlenhauser Straße näherte. Dann gingen die Versionen der beiden Hauptakteure jedoch weit auseinander.

"Der hat sich in sein Auto gesetzt und ist einfach auf mich zugefahren", schilderte der Angeklagte seine Version. Er habe keine andere Chance gehabt, als sich auf die Motorhaube zu werfen und an den Scheibenwischern festzuhalten. Auf der etwa ein Kilometer langen Fahrt zur Polizeiwache habe er nicht abspringen können.

"Der fuhr mit mindestens 70 Stundenkilometern", behauptete er. Dabei habe ihn der Zeuge durch die Scheibe angegrinst und das Zeichen für "Ich schneid’ dir die Kehle durch" signalisiert.

Einen gänzlich anderen Eindruck vermittelte der Mittschnitt des Anrufs des Zeugen, der den Wagen fuhr, bei der Polizei. Das Gericht spielte diesen Anruf, den er während der Fahrt tätigte, bei der Verhandlung vor. Panisch schrie der Fahrer des Wagens nach der Polizei.

"Der ist auf meinem Auto" und "Bitte kommen Sie raus", waren wenige klare Sätze, die aus den aufgeregten Schreien und Wimmern zu erkennen waren. "Das klingt für mich nicht cool, sondern sehr panisch", bemerkte die Richterin.

Das bestätigten auch die beiden Polizisten von der Wache. "Der Mann war völlig fertig, er tobte und weinte und ließ sich kaum beruhigen", berichtete einer. Nur mit Mühe habe man ihn überreden können, auszusteigen, wobei er sich übergeben habe.

"Der hatte panische Angst vor dem anderen und wollte nach der Vernehmung nicht nach Hause fahren - aus Angst, er würde ihm dort auflauern", erzählte der Polizist.

Die Panik vor dem Angeklagten trieb den schlacksigen, blassen Mann dazu, per Brief und Attest zu versuchen, nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Doch es half nichts, die Richterin ließ den Zeugen von der Polizei vorführen.

"Warum machen Sie das?", fragte er sie unter Tränen. "Ich will das nicht mehr. Ich bin seit fast zwei Jahren gestört, kann nicht mehr schlafen, traue mich nicht mehr alleine aus dem Haus." Dies alles aus Angst vor dem Angeklagten. Warum dieser Geld von ihm verlange, könne er sich auch nicht erklären. Aber ständig würden ihm Leute ausrichten, dass der Angeklagte ihn "kalt" mache, wenn er wieder vor Gericht aussagen würde.

Dann die Wendung. "Bitte, ich will nicht, dass er bestraft wird", flehte der Zeuge die Richterin an. Er wolle auch kein Schmerzensgeld, nur endlich wieder ohne Angst leben.

Und so diskutierten Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht plötzlich über eine Einstellung des Verfahrens. Die beiden Männer sprachen sich aus und saßen in der Pause einträchtig nebeneinander. Das Verfahren gegen den Angeklagten wurde mit der Auflage eingestellt, dass er ein Anti-Aggressionstraining sowie 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leistet.