Interview: Musik als politische Waffe

Conrad Thimm organisierte den Protest Ende der 60er Jahre am KHG mit.

Mettmann. Die wilden 68er. In Mettmann war das Konrad-Heresbach-Gymnasium (KHG) eine Keimzelle des Jugendprotests. Die Schüler demonstrierten für Lehrer, für Freiheit in Chile, gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Prag und für mehr Sex statt Biologie. In einer kleinen Serie berichten wir über die Zeit. Conrad Thimm war einer der KHG-Schüler, die für neue Werte kämpften. Wir sprachen mit Thimm, der inzwischen in Berlin lebt.

WZ: Wie fing das damals mit den vielen Protesten am Konrad-Heresbach-Gymnasium an? Was hat Sie und Ihre Mitschüler bewegt, sich politisch zu engagieren?

Thimm: Wir waren einfach Teil einer Bewegung, die von Musik und Aufbruch aus verkalkten Strukturen geprägt war. Da gab es unterschiedliche Anregungen, die in Mettmann zusammen kamen, zum Beispiel Rock- und Soulmusik aus England und USA, Folkmusik auch zum Teil mit politischen Inhalten, die einige bei den ersten Festivals auf Burg Waldeck gehört hatten, politische Aktivisten bis hin zur DKP, mit der es für die meisten zum Bruch nach dem Einmarsch der Sowjets in Prag im Sommer 68 kam, Ostermärsche, Kriegsdienstverweigerung...

WZ: Was haben Sie damals für Musik gehört?

Thimm: Vor allem englische Musik: Stones, Kinks, Yardbirds, Animals, John Mayall, Ten Years After, Beatles. Aber auch amerikanischen Soul: Wilson Pickett, Aretha Franklin, Otis Redding, Sam&Dave, Temptations, aber natürlich auch Bob Dylan, die Doors, Jimi Hendrix, Jefferson Airplane, Frank Zappa und die Mothers of Invention. Und auch Deutsche wie Franz-Josef Degenhardt, den wir auch nach Mettmann zu einem Konzert geholt haben.

WZ: Stimmt es, dass Sie in der 68er-Bewegung am KHG so eine Art Anführer waren, der viele Demos geplant und durchgeführt hat?

Thimm: Ich war unbefangener als viele andere, einfach zu machen, was ich für richtig hielt, aber es waren auch eine ganze Reihe anderer "Anführer", wie zum Beispiel Helmar Jülich, der politische und kulturelle Theorien vertrat, oder Christa Jacobi von der DKP und Hans-Willi Hill, der große Musiker, Dirk Ehlers und Johnny Wache von der Spaßfraktion, "Chief" Jochen Steffens, der eine große Autorität hatte.

WZ: Was haben denn damals die Eltern gesagt, als ihre Kinder plötzlich viel politischer als sie selbst waren?

Thimm: Unterschiedlich. Manche waren natürlich total dagegen, manche auch ganz offen, wie meine Eltern. In manchen Familien ging der Riss hart durch die Familie. Wie bei den Freges, Sie wissen, Andreas Frege, Campino von den Toten Hosen. Der Vater war stockkonservativ und die Mutter, Engländerin, sehr aufgeschlossen. Dort im Haus habe ich ab 1964 sonntags die Top 20 auf BFBS, British Forces Broadcasting Service in Germany, gehört. Das war ein wichtiger Einfluss für mich. Der prominenteste Konservative, der versucht hat, Einfluss auf das KHG zu nehmen, war Herr von Brauchitsch, damals Generalbevollmächtigter bei Flick. Er und einige andere haben ihre Kinder dann am KHG abgemeldet.

WZ: Gab’s damals Sanktionen der Schule gegen die protestierenden Schüler?

Thimm: Nein, weil wir zwar ungeschriebene Regeln gebrochen haben, aber vorsichtig waren bei geschriebenen Regeln und Gesetzen. Lieber haben wir auf Witz gesetzt. Und als wir dann zum Beispiel auf einen Erlass der Schulbehörde, dass an Schulen keine Flugblätter verteilt werden dürften, mit Verteilen der kleinsten, etwa Konfettigröße, und des größten Flugblattes der Welt, so 20Quadratmeter, reagierten, da waren die interessanteren Lehrer und der Direktor inhaltlich eher auf unserer Seite.

WZ: Erinnern Sie sich noch daran, dass nach einem Leserbrief ein KHG-Lehrer versetzt wurde, weil ihm kommunistische Machenschaften nachgesagt wurden?

Thimm: An den Leserbrief nicht mehr, aber an den Lehrer Herr Willkomm und die Versetzung noch sicher.

WZ: Die Schüler haben es durch Proteste geschafft, dass dieser Lehrer wieder ans KHG zurückkommen konnte?

Thimm: Herr Willkomm wurde in den Sommerferien versetzt nachdem meine Klasse Abitur gemacht hatte. Wir hatten den Eindruck, dass die Schulbehörde dachte, wir würden uns nicht mehr organisieren. Aber das war natürlich genau umgekehrt, ein Herausforderung, die wir gerne annahmen, und die die Oberstufenschüler, die noch auf der Schule waren, durch ihre Streikandrohung zum Erfolg brachten.