Ratingen: Junge Spätaussiedler - Weg vom Problem-Image

Die Diakonie fördert die Integration junger Russlanddeutscher – unter anderem mit dem Projekt „Wir“.

Ratingen. Oleg (12) und Michael (14) wissen nicht mehr weiter. Schlechte Noten in der Schule. Es hagelt Vieren und Fünfen. Wie sollen die beiden so nur die Hauptschule schaffen?

Das fragen sich auch ihre Eltern. Doch das Problem: Genau das können sie nicht mit den Lehrern besprechen. Sie können kaum Deutsch. Währenddessen wächst das schlechte Gefühl bei den beiden Jungs: "Wir können doch nichts", sagen sie. Was tun?

Oleg und Michael sind vor ein paar Jahren mit ihren Eltern aus Kasachstan nach Ratingen gekommen. Sie sind Spätaussiedler. Manche nennen sie auch "Russlanddeutsche" - ein Wort, das den Gemütszustand einer großen Gruppe von Menschen beschreibt. Ohne Heimat. Hin- und hergerissen. Ohne Halt. "Doch es gibt Hoffnung", sagt Jelena Zhukovsky. Die 50-Jährige ist Mitarbeiterin der Diakonie. Seit zwei Jahren leitet sie ein Projekt für junge Aussiedler. Dessen Titel: "Wir - Wir in Ratingen".

"Wir sind eine Art Club", sagt die 50-Jährige. Die Sozialpädagogin sucht quasi ständig den Kontakt zu den jungen Leuten. Sie organisiert Sportereignisse und Diskos. Und sie nimmt sie in die Pflicht, fragt, wenn sie wegbleiben. "Ein Gefühl von ,Ich bin was wert’ vermitteln", nennt sie das.

Oleg und Michael sind zwei ganz neue "Fälle". "Typisch für eine ganze Generation", sagt sie. Spätaussiedler sind deutsch-stämmige Russen. Mehrere Zehntausend kommen jährlich nach Deutschland. 5000 wohnen aktuell in Ratingen. Und sie tauchen in den Medien immer wieder als "Problemgruppe" auf. Vor allem die junge Generation gilt als kaum integrationsfähig oder tendenziell kriminell. "Etwas, was mich unglaublich ärgert", sagt Jelena Zhukovsky. Sie kennt die Sorgen und Nöte "ihrer" Jugendlichen. Und sie weiß: "Einzelfälle bestimmen das Bild."

Das größte Problem, mit dem junge Russlanddeutsche zu kämpfen haben, sind Sprachbarrieren. "Die meisten sprechen nur Russisch, wenn sie hierher kommen." Ihre Jugendliche können inzwischen zwar fließend Deutsch. Doch bleiben oft Probleme in der Schule, Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz zu finden. "Auch aus Klischeegründen", sagt Zhukovsky.

Die Folgen sind verheerend. "Es wird einer ganzen Generation von Aussiedlern von der Gesellschaft vermittelt, weniger Wert zu sein." Genau dagegen kämpft sie an. Vor zehn Jahren knüpfte sie erste Kontakte zu jungen Russlanddeutschen. Daraus ist das aktuelle Projekt entstanden.

"Wir" ist Anlaufpunkt und Zufluchtsort, ohne einen eigenen Standort zu haben. Die Club-Mitglieder treffen sich mal in der Sporthalle, mal beim Schwimmen. Und: "Sie bleiben nicht unter sich. Es kommen auch Deutsche, Türken oder andere Nationalitäten zu unseren Treffen."

Auch Oleg und Michael sind zu einem dieser Treffen gekommen. Jelena Zhukovsky war mit ihnen und einigen jüngeren Deutschen Eislaufen. "Die Aufgabe der beiden Jungs war es, sich um die Kleinsten, die natürlich nur Deutsch sprachen, zu kümmern. Alle waren begeistert", sagt sie. "Da haben die Jungs gemerkt: Sie können was." Aufbauarbeit im Kleinen. Genau so leistet sie bei den Älteren Unterstützung - etwa bei der Suche nach Ausbildungsplätzen. Mit Erfolg: Wer in ihrer Gruppe war, ist nicht perspektivlos.

"Jeder kann es schaffen." Das vermittelt sie den Kindern und Jugendlichen. "Wenn wir ihnen das nur früh genug vermitteln, kommt es gar nicht so weit, dass sie irgendwann am Berliner Platz stehen und nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen."