Training mit der Polizei in Kempen Zahl der Unfälle mit Pedelecs steigt

Kempen · Die Polizei zählt immer mehr Unfälle, bei denen Pedelec-Fahrer beteiligt sind. Den Umgang mit dem Gefährt muss man üben. Worauf es bei der Fahrt ankommt, lernten Teilnehmer eines Workshops für Senioren am Dienstag in Kempen.

Welche Farbe zeigt die Karte, die Tobias Stapper hochhält? Umdrehen und trotzdem die Spur halten war bei dieser Übung gefragt.

Foto: Norbert Prümen

(biro) Immer wieder kommt es im Kreis Viersen zu Unfällen mit Pedelecs. Das hängt auch damit zusammen, dass immer mehr Menschen den klassischen Drahtesel gegen ein modernes Pedelec tauschen. „Der Pedelec-Boom ist ungebrochen“, berichtete Tobias Stapper am Dienstag, pro Jahr würden etwa zwei Millionen dieser Räder deutschlandweit verkauft. Der Radverkehrsbeauftragte der Kreispolizeibehörde Viersen war am Dienstag mit dem Verkehrssicherheitsberater Martin Gennert der Einladung der Senioren-Initiative Kempen gefolgt, um im Haus Wiesengrund einen kurzen Vortrag zum Thema „Pedelec 65+ – aber sicher“ zu halten und die Teilnehmer dann aufs Rad und über einen Parcours zu schicken. Denn den Umgang mit dem Gefährt muss man üben: Es ist nicht nur deutlich schneller und schwerer als ein normales Fahrrad, sondern hat auch andere Fahreigenschaften.

Im Jahr 2021 registrierte die Polizei im Kreis Viersen 88 Verkehrsunfälle mit Personenschaden, an denen Pedelec-Fahrende beteiligt waren, im Jahr 2022 waren es schon 132. Für das Jahr 2023 wurden bis Mai bislang 39 Unfälle gezählt. Insgesamt weist die Polizeistatistik 87 verunglückte Pedelec-Fahrer für das Jahr 2021 aus, 126 für das Jahr 2022 und für 2023 bis Mai 39. In vielen Fällen kommt es zum Unfall, wenn die Vorfahrt nicht beachtet wurde oder der Autofahrer beim Abbiegen den Radfahrer übersah.

Häufig kommt es aber auch zu sogenannten Alleinunfällen – wenn ein Radfahrer beispielsweise versucht, vom Gehweg auf die Straße zu fahren, und dabei stürzt. Gleich drei solcher Alleinunfälle mit Pedelecs registrierte die Polizei im Kreis Viersen am Montag. So hatte eine 66-jährige Pedelec-Fahrerin in Netettal-Hinsbeck abbremsen müssen, weil sie einen vor ihr stehenden Pedelec-Fahrer zu spät gesehen hatte. Durch die Vollbremsung verlor sie die Kontrolle über ihr Gefährt und stürzte auf die Fahrbahn; sie wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Am späten Nachmittag verletzte sich ein Ehepaar in Schwalmtal bei einer Pedelec-Tour leicht: Laut Polizei wollte die 79-jährige Frau vom Radweg auf die Straße fahren, verlor dabei die Kontrolle und stürzte auf die Fahrbahn. Ihr 82-jähriger Ehemann wollte ihr helfen und versuchte zu wenden, verlor dabei auch die Kontrolle über das Rad und stürzte.

Bei dem Seminar am Dienstag machten Gennert und Stapper die teilnehmenden Frauen und Männer nicht nur kurz mit einigen Verkehrszeichen bekannt, die vielleicht nicht jedem geläufig sind, sondern zeigten auch Fotos von Kreuzungen oder Kreisverkehren in Kempen, die jeder kennt – und an denen es immer wieder zu haarigen Situationen kommt. Sehr vorsichtig sein müssen Verkehrsteilnehmer beispielsweise dort, wo ein Radweg in beide Richtungen befahrbar ist – der Autofahrer muss beim Abbiegen mit Radlern aus beiden Richtungen rechnen, der Radler damit, dass er vielleicht nicht gesehen wird. In jedem Fall sollte der Radelnde den Blickkontakt mit dem Autofahrer suchen, empfiehlt die Polizei, beachten, dass sie möglicherweise im Dunkeln, bei Regen oder dann, wenn sie aus dem Schatten kommen, nicht gesehen werden, und „mitdenken, auch wenn man als Radfahrer Vorfahrt hat“, riet Gennert den Anwesenden. Kollege Stapper empfahl eine vorausschauende Fahrweise – und unbedingt einen Helm, denn: „Sie tragen den Schmerz. Der Autofahrer hat eine Riesen-Knautschzone.“

Polizei baute verschiedene Übungsszenarien auf

Draußen übten die Teilnehmer schließlich allerhand: Enge Kurven im Slalom fahren, eine Engstelle passieren, die kaum breiter ist als der Fahrradreifen, an einer Linie anhalten und wieder anfahren, im Kreis fahren, sich per Schulterblick umschauen und dabei trotzdem die Spur halten. Die beiden Experten rieten auch dazu, sich eingehend mit dem Pedelec und seinen Funktionen vertraut zu machen. Beispiel: „Wenn man die Hinterradbremse ganz leicht anlegt, stabilisiert sich das Rad kolossal, das ist gut bei Kurven und beim Wenden“, so Gennert, das sei ein Trick aus dem Motorradfahren. Und wer sich gern am Ampelpfosten festhält, während er auf Grün wartet, und dabei schon mal einen Fuß aufs Pedal stellt, muss wissen: Manche Pedelecs schießen nach vorn, sobald der Fuß das Pedal berührt. Das kann etwa an Ampelkreuzungen sehr gefährlich werden, wenn der Schub das Rad plötzlich in den Rotbereich drückt.

Im Parcours hatten die Frauen und Männer sichtlich Spaß, waren aber mit Konzentration bei der Sache. „Man lernt nie aus“, begründete die 83-jährige Marianne Roth ihre Teilnahme an dem Seminar: „Es ist doch ein Unterschied, ob man mit einem normalen Fahrrad oder einem Pedelec unterwegs ist.“ Sie hat beides, nutzt für die kurzen Wege in der Stadt das Fahrrad, für längere Touren stadtauswärts das Pedelec. Ein 66-jähriger Kempener hatte sich ein Pedelec für die Teilnahme geliehen. Noch hat er keins, fährt noch Fahrrad, „aber ich will mich auf die Zukunft vorbereiten“, erklärte er schmunzelnd. Die Übungen seien sehr gut, „beim Umdrehen trotzdem geradeaus fahren, das ist total wichtig“.