75. Heimatbuch erschienen Menschen und Geschichten aus dem Kreis Viersen

Kempen/Grefrath · Grefrather Künstler Gottfried Sleegers und die Dorenburg – spannende Beiträge im neuen Heimatbuch des Kreises Viersen.

Die Autorinnen und Autoren des neuen Kreisheimatbuches mit Kreisdirektor Ingo Schabrich (2.v.l., hinten) und Kreisarchivar Michael Habersack (3.v.l.).

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Woher kommen Straßennamen wie Bockengasse, Engerstraße oder Umstraße? Dieser Frage ist die Kempener Historikerin Tina Hirop nachgegangen. Denn immer wieder gab es bei Gästeführungen in der Altstadt Nachfragen von Einheimischen wie Besuchern, die zu neuen Forschungen anregten, so berichtet Hirop in ihrem Beitrag zum neuen Heimatbuch des Kreises Viersen. Die Ergebnisse stellt sie in ihrem Beitrag vor. „Ein wichtiger Ansatzpunkt war die Berücksichtigung der niederdeutschen Sprachformen, die seit dem Mittelalter als Handels- und Verkehrssprache am Niederrhein und in den Niederlanden verbreitet waren und sich auch heute noch in den plattdeutschen Dialekten wiederfinden“, so Hirop.

Insgesamt umfasst das Buch 383 Seiten mit 24 Beiträgen aus dem Kreis. „Es ist wieder ein sehr vielseitiger und abwechslungsreicher Band geworden“, sagt Kreisarchivar Michael Habersack. 23 Autorinnen und Autoren waren an dem Werk beteiligt. Sie widmeten sich wie gewohnt ganz unterschiedlichen Themen, und das macht dieses Buch auch so reizvoll: Man muss es nicht in einem Rutsch weglesen, man kann sich mal diesen, mal jenen Beitrag vornehmen, man kann es später wieder zur Hand nehmen, wenn man denkt: „War da nicht was? Hatte ich dazu nicht einen Beitrag im Heimatbuch gesehen?“

So erinnert etwa der Grefrather Alfred Knorr an den Grefrather Künstler Gottfried Sleegers, der im Mai 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet. Bis September 1945 war er in Auschwitz inhaftiert. Was er dort erlebte, ist seinen Tagebüchern und einigen Zeichnungen zu entnehmen, die Sleegers anfertigte. Bernd-Dieter Röhrscheid und Udo Holzenthal haben sich unter dem Titel „Schuld und Sühne“ mit der Entnazifierung in der Gemeinde Anrath beschäftigt – ein Prozess, mit dem man versuchte, Anhänger des Nationalsozialismus zu ermitteln und sie aus dem öffentlichen Leben zu entfernen, was sich „von Anfang an als schwierig erwies und letztlich beendet wurde, ohne ein Gefühl der Gerechtigkeit in der Bevölkerung zu hinterlassen“, wie die Autoren in ihrem Beitrag feststellen.

Viele weitere Orte haben die Autoren erforscht, vielen weiteren Geschichten sind sie nachgegangen. Da ist Michael Guse, der von Wilhelm Veit erzählt, Dülkens unbeugsamem Pfarrer in der Zeit des Nationalsozialismus: Veit gelang es, die brennende Synagoge zu fotografieren und später die Thorarolle über diese Zeit zu retten. Da ist der Waldnieler Heimatforscher Karl-Heinz Schroers, der von den Ehrenbürgern der Gemeinde Schwalmtal und ihrer Vorgängergemeinden erzählt. Josef Hormes und Gudrun-Lisa Bovenkamp Langlois haben mit Unterstützung von Tina Hirop und mittels Röntgentechniken Ziegel aus den Kellern der Kempener Burg und eines Gebäudes an der Ellenstraße tiefergehend untersucht. Kreisarchivar Michael Habersack hat sich dem Remigius-Kirchhof in Viersen gewidmet, Heinz Koch hat sich sehr eingehend mit der Geschichte der Honschaft Wevelinghoven in Hinsbeck befasst, mit dem Helfeshof und den Menschen, die dort lebten. Manfred Rehnen erinnert an den Fliegerhorst Venlo-Herongen, Leo Peters an die Evakuierung Kaldenkirchens 1944/45, Lena Heerdmann beschäftigt sich mit der Dorenburg in Grefrath, und Arie Nabrings gibt einen Überblick über ein Dülkener Wahrzeichen, die Narrenmühle, und das Museum.

Im Heimatbuch sind Natur
und Landschaft immer Themen

Auch Natur und Landschaft sind immer ein Thema im Heimatbuch des Kreises Viersen. Jennifer Markefka von der Biologischen Station Krickenbecker Seen hat sich den Reptilien, den „heimlichen Bewohnern des Kreises Viersen“ genähert: 14 einheimische Reptilienarten gibt es in Deutschland, sechs Arten sind im Kreis Viersen heimisch. Wie Schlingnatter, Kreuzotter und Zauneidechse leben, welchen Gefahren sie ausgesetzt sind und wie ihre Lebensräume erhalten werden können, erfahren Leser im neuen Heimatbuch.

Dies erscheint in diesem Jahr zum 75. Mal. Zum Jubiläum hat Kreisarchivar Habersack einen Beitrag verfasst, in dem er beschreibt, wie sich das Buch entwickelte. Im Herbst 1949 erschien es erstmals für das Jahr 1950, und sollte „allen, die den Kreis Kempen ihre Heimat nennen, diese in Wort und Bild, in Poesie und Prosa nahebringen“. Entsprechend beinhaltete das Heimatbuch lange Zeit auch Hinweise auf Termine im Folgejahr, etwa einen Kirmeskalender und einen Kalender mit Trächtigkeits- und Brutzeiten, und es gab praktische Hinweise, etwa zu Erste-Hilfe-Maßnahmen, Postgebühren oder zur Entfernung von Flecken. Das hat sich längst geändert, statt Heimat-Gedichten finden sich im Heimatbuch heute aufwendig recherchierte Beiträge, die wissenschaftlichen Ansprüchen standhalten und die Quellen nennen. „Das Heimatbuch wird in seiner nunmehr 75-jährigen Geschichte ein immer größerer Wissensschatz“, berichtet Kreisdirektor Ingo Schabrich. Ein Schatz sind die Heimatbücher ohnehin, insbesondere, wenn sie komplett im Regal stehen. Insofern sollten sich Leserinnen und Leser rechtzeitig ein Exemplar sichern.