Abiturientin vor dem Abschied von Nettetal Was hinter der A61 zurückbleibt
Nettetal-Hinsbeck · Wie fühlt es sich an, wenn man Nettetal verlässt? Den Ort hinter sich lässt, in dem man Radfahren gelernt, das Abitur bestanden und eine Führerscheinprüfung vermasselt hat? Josefine Hippler aus Hinsbeck erzählt es.
Ich habe dieses Jahr Abi gemacht. Nächstes Jahr soll es mit dem Studium losgehen – nicht hier, sondern weit weg von Zuhause. Das heißt, ich muss Nettetal verlassen. Ab ins Auto, Richtung A61. Jetzt muss ich überlegen: Wie geht es weiter? Was erwartet mich? Und vor allem: Was lasse ich zurück?
Ich habe immer gerne in Nettetal gelebt, in erster Linie werde ich die Menschen vermissen, mit denen ich hier zusammen war. Am meisten meine Freunde. Anders bei meiner Familie, die ich schließlich immer wieder auf allen möglichen Familienfesten sehen werde, ist bei meinen Freunden nämlich nicht so sicher, wann und ob ich sie überhaupt noch mal sehen werde, wenn wir auf verschiedene Unis gehen. Und behalten würde ich meine Freunde gerne – manche kenne ich schon aus der Zeit vorm Kindergarten, viele habe ich erst in den letzten Jahren in der Oberstufe kennengelernt.
Eine Freundin ist schon seit Oktober dieses Jahres weg, gerade kommt sie noch oft am Wochenende nach Hause. Dann setzen wir uns oft ins Auto, fahren zum Königshof und holen uns ein Eis – auch wenn es mittlerweile eigentlich zu kalt dafür ist. Wie das sein wird, wenn ich auch weg bin, weiß ich nicht. Sich mal eben treffen geht dann wohl nicht mehr, weil unsere Unis dafür zu weit auseinander liegen.
Andererseits... Ist es wirklich ein Abschied für immer? Ich kann mir schon gut vorstellen, irgendwann mal wiederzukommen. Vielleicht auch mit meinen Kindern. Ich war hier als Kind immer glücklich. Auf einem Feldweg in der Nähe von meinem Zuhause habe ich Radfahren gelernt, saß das erste Mal mit zittrigen Händen am Steuer eines Autos und bin dann kurze Zeit später auch hier durch meine erste Fahrprüfung gefallen. An Nettetal hängen so viele Erinnerungen, gute wie schlechte.
Ein Stück weit bin ich aber froh, manche Probleme bald nicht mehr zu haben. In der Stadt muss ich mein Leben nicht mehr so sehr danach ausrichten, wann der Bus fährt – bei mir fährt er nämlich nur stündlich vorbei. In der Stadt ist ein Bahnhof mehr als zwei Gleise, und auf jeden Fall mehr als eine Bushaltestelle, wie der Lobbericher „Bahnhof“. In der Stadt muss ich nicht bis nach Mönchengladbach fahren, damit ich vernünftige Klamotten bekomme – alles Vorteile, aber ich bin trotzdem traurig, dass ich gehen muss.
Ich denke, was Nettetal selber angeht, werde ich besonders die Umgebung vermissen. Die vielen Feldwege, der Wald und die – in den meisten Stadtteilen kaum existierende – Innenstadt. Die vielen Seen, von denen ich sicher noch nicht jeden gesehen habe. Auch wenn Nettetal auf dem Papier eine Stadt ist und Lobberich, Kaldenkirchen, Hinsbeck, Breyell, Schaag und Leuth dementsprechend nur Stadtteile sind, besteht es für mich eher aus vielen kleineren und größeren Dörfern, die viel unter sich bleiben. Das hat mir immer gut gefallen – auch wenn es mich manchmal ein bisschen stört, dass sich hier jeder kennt.
Ich hatte immer den Eindruck, dass es für Leute in meinem Alter in Nettetal nicht viel zu tun gab. Party machen konnte ich immer nur, wenn ich auf einen Geburtstag eingeladen wurde, oder zufällig die Schützen oder die Landjugend irgendwas geplant hatten. Das heißt, immer dieselben Leute zu sehen. Trotzdem ist einem eigentlich immer was eingefallen. Auch, wenn es nur so was wie Zwiebeln Ernten war, was ich vorher noch nie gemacht hatte.
Und im Zweifel musste man halt raus aus Nettetal, in die umliegenden Städte. Das ging aber auch nur, wenn ich jemanden hatte, der mich bringt oder abholt – auf den Bus konnte ich mich schließlich nicht verlassen. Ich weiß noch, dass meine Freundin zu ihrem 16. Geburtstag einen kleinen, roten Traktor geschenkt bekam. Zwar war das natürlich ihrer, aber auch für mich war das ein Stück Selbstständigkeit. So konnte ich dann mit ihr ins Kino in Kempen – der Weg dahin war holprig, weil man jedes Schlagloch gespürt hat. Den roten Traktor haben wir dann ewig weit entfernt auf irgendeinen Parkplatz stehen lassen – und es hat sich gelohnt.
Was mir immer sehr gefallen hat, war die Nähe zu den Niederlanden. Ich war gerne da und hab mich auch immer gefreut, wenn Niederländer hier waren. Noch vor Kurzem war ich da und habe mir im Stadion des VVV Venlo ein Spiel angeschaut. Nur 16 Minuten musste ich mit dem Auto fahren, und zack, war ich in einem ganz anderen Land. Eine ganz andere Sprache, nicht weit entfernt vom Meer und sonntags einkaufen können, das hat mir schon sehr gefallen. Für mich ist es ein echtes Privileg, so nah an der Grenze zu leben und diese Möglichkeiten zu haben.
In meinem letzten Jahr hier möchte ich noch mal alles mitnehmen: Den Aussichtsturm in Hinsbeck, gemütlich Bücher kaufen bei Matussek, vielleicht noch mal eine Runde um den De Wittsee drehen. Und dann mal sehen, was kommt.
Ich denke, insgesamt bin ich froh, hier gelebt zu haben – in der Seenstadt. Und wenn ich doch mal nach Hause möchte, setze ich mich in den Zug und halte Ausschau nach dem Wasserturm – bis ich wieder daheim bin.