Serie Selbstversuch: Tango tanzen Tango ist Kommunikation von Körpern

<irglyphscale style="font-stretch 999062%;">Hinsbeck</irglyphscale> · In Hinsbeck gibt es eine rege Tango-Community, die sich wöchentlich zum Training trifft. Unsere Redakteurin Silke Schnettler wollte wissen, wie es sich anfühlt, Tango zu tanzen. Sie hat mitgemacht.

Zu Ende der Tango-Schnupperstunde: unsere Redakteurin Silke Schnetter voll im Schwung mit dem Tangolehrer Norbert Grischkat.

Foto: Sandra Dupke

„Mit den Schuhen wird das nichts“, ist das Erste, was ich von Norbert Grischkat erfahre. Hm, um mich herum haben zwar alle Frauen Jeans und Pullis an, aber bei genauerem Hinschauen schicke Leder-Tanzschühchen mit kleinem Absatz. Meine schwarzen Stiefeletten kommen mir plötzlich klobig vor. Und vor allem: Sie haben Gummisohlen. Doch Norberts Frau Angelika, mit der er gemeinsam beim VfL Hinsbeck Tango unterrichtet, hilft mir mit einem Lächeln und einem Paar „Tanzsocken“ aus der Patsche. Das sind schwarze, dehnbare Schläuche aus Stoff, die ich mir vorne über die Schuhe ziehe. „Dreh dich mal“, fordert Angelika mich auf. Automatisch belaste ich den Vorderfuß, wie ich es von Ballett-Pirouetten kenne. Und habe gleich ordentlich Speed, da quietscht oder bremst nichts mehr. Wenn der Rest auch so einfach zu lösen ist, soll der Tango kommen.

Aber während Norbert und Angelika den sechs Paaren im Festsaal des Seniorenzentrums Marienheim eine schwebend leichte „Sacada“ vortanzen und alle es den beiden nachtun, muss ich erst mal Gehen lernen. Norbert zeigt es mir: Bloß nicht das Bein anheben wie ein Gockel, sondern den Vorderfuß aufsetzen und den Fuß leicht nach vorne schleifen. Bei den ersten Schritten fühle ich mich wie als Jugendliche beim Breakdance. Aber Abgucken hilft, vor allem bei der feengleichen Angelika, die in einer weiten schwarzen Hose und einem Jäckchen mit weißer Stoffblume am Revers durch den Raum schwebt. Nach und nach kommt mein Körper in den Rhythmus der sehr melodischen und etwas klagenden Geigen- und Bandeon-Musik, die Norbert von seiner Spotify-Liste abspielt. Schon das schleifende Gehen lässt mich ein Glücksgefühl spüren. Als ich dann auch Schritte seitwärts und rückwärts übe, spüre ich einen warmen Flow im Körper.

„Tango ist nicht Zerren und Reden, sondern Kommunikation von Körper zu Körper“, erklärt Norbert. Im Bereich des Oberkörpers tanze man deshalb eng, um die Verbindung zu haben. „Dabei spürt man oft auch den Atem und Herzschlag des anderen.“ Zwischenzeitlich übt er mit den Paaren einen „Gancho“: Der Mann unterbricht den Bewegungsfluss kurz und die Frau schlingt ihr Bein um seinen Oberschenkel. Wow, das sieht cool aus. Aber auch bei uns geht es nun mehr zur Sache: Norbert richtet die Brust auf, geht in Tanzhaltung und streckt mir seine Arme entgegen. Ich schlüpfe hinein und nun schreiten wir gemeinsam stolz „schleifend“ durch den Raum. Beim Tango führt immer der Mann und die Frau folgt. Wir schauen uns dabei in die Augen. Norbert ist ein smarter Mann, er hat die braunen, langen Haare zurückgekämmt und bewegt sich einfach toll. Aber ihm die ganze Zeit, direkt in die Augen zu starren, fühlt sich komisch an, zu nah. Norbert merkt das und lacht. Sein Tipp: Auf das Brustbein des Mannes schauen. Oder ich könne einfach die Augen schließen. Denn beim Tango kommt es vor allem auf eins an: aufs Spüren der Impulse des Partners. Ich probiere es und fühle wieder eine Flow-Welle. Ich denke nicht nach, was ich machen muss, ich kann einfach wahrnehmen und reagieren. Wobei mein Körper das von selbst macht. „Tango beruht nur auf der Energie der Körper und ihrem Austausch“, sagt Norbert. „Der Mann bringt die Ideen ein, die Frau die Schönheit.“

Fasziniert beobachte ich die tanzenden Paare, die gerade die „Volcada“ üben: Die Frau lehnt sich „schief“ gegen den Mann. „Ihr dürft das Minigewicht eurer Tänzerin mit eurer Heldenbrust auffangen“, ermutigt Norbert die Männer. Und Angelika und er machen es vor: Sie sinkt gegen ihn, er fängt sie geschmeidig auf und stupst sie in einer fließenden Bewegung zurück. Dass die Paare im Raum teils erst seit einem Jahr tanzen, kann ich kaum glauben.

Normalerweise tanzen die Tangoeras und Tangoeros des VfL Hinsbeck im katholischen Jugendheim. Dass wir an diesem Abend im Hinsbecker Seniorenzentrums Marienheim sind, wird einem bewusst, als eine alte Dame mit zerzausten weißen Haaren in einem grünen Krankenhauskittel und dicken Socken an den Füßen hinter der Glastür erscheint. Sehnsüchtig beobachtet sie die Tanzenden - bis eine Pflegerin auftaucht und sie wieder wegführt. Norbert hat es auch gesehen. „Von mir aus können die alten Menschen alle gerne zuschauen“, sagt er und lacht.

Angelika und er tanzen seit 14 Jahren. Begonnen haben sie, weil sie das dringende Gefühl hatten, dass sie mehr gemeinsam machen sollten. „Seitdem ist unsere Beziehung lebendiger und deutlich besser geworden“, sagt Norbert. Es sei durchaus prickelnd, dass man bei Tango-Treffen immer auch mit anderen tanzt. „Aber diese kleine Eifersucht, die dabei anfangs entstand, habe ich überwunden.“ Er hat gemerkt: „Angelika kommt gerne zu mir zurück. Sie ist einfach die Frau, mit der ich am besten die Sprache des Tangos sprechen kann.“

Am Ende tanzen Norbert und ich ein ganzes Stück gemeinsam. Wahrscheinlich grinse ich dabei die ganze Zeit. Mein Kopf hat keine Ahnung, was ich mache. Aber es funktioniert. Wir gleiten durch den Raum. Wenn ich auf den Impuls von Norbert hin das Gewicht nicht gleich von einem Fuß auf den anderen verlagere, verzögert er die Bewegung minimal. Ah ja, das hat er gemeint. Als die Musik aufhört, bin ich aufgekratzt. Im Alltag muss ich viel managen und regeln. Es tut so gut, sich einfach mal der Situation, dem Moment, einem Menschen zu überlassen. Von Norbert kommt auch noch ein fettes Lob. Auch wenn ich durch Ballett und Klavierspielen sicher vorbelastet bin, pusht es mein Hochgefühl noch mal. Jetzt muss ich nur noch meinen Mann vom Tango überzeugen.