Gedenkfeier in Nettetal Erinnerung an den Nazi-Terror wachalten
Nettetal · Schüler am Rhein-Maas-Berufskolleg in Lobberich haben in diesem Jahr die Gedenkfeier zum Holocaust-Tag gestaltet. Vor 80 Jahren wurde das KZ Auschwitz von der Roten Armee befreit.
„Mit Schweigen und Wegschauen hat alles begonnen.“ Sätze wie dieser bei der Gedenkfeier zum Holocaust-Tag in der Alten Kirche in Lobberich mahnen uns heute Lebende, gegen Rassismus und Unmenschlichkeit vorzugehen. Die Stadt lud am Montag, am Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, zu einer Gedenkstunde in die Alte Kirche. Vor genau 80 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das KZ Auschwitz auf dem Gebiet des heutigen Polen von Soldaten der Roten Armee befreit. Schüler und Lehrer des Rhein-Maas-Berufskollegs gestalteten die Gedenkfeier mit eigenen Texten und Videos von einer Reise nach Berlin zur Gedenkstätte Sachsenhausen.
Anschließend sprach Bürgermeister Christian Küsters in der vollbesetzten Alten Kirche – geschätzt 180 bis 200 Anwesende – zu den Nettetaler Bürgern. Er dankte den Schülern für ihr Engagement: „Das ist ein Zeichen, dass die junge Generation bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.“ Die Erinnerung an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte müsse bewahrt werden. Die Gesellschaft dürfe nicht nachlassen, gegen Intoleranz, für Menschlichkeit und eine offene, tolerante Gesellschaft einzustehen. Die Erinnerung an diese „beispiellosen Verbrechen“ dürfe nicht auf Gedenkveranstaltungen beschränkt sein. Küsters erinnerte besonders an die „Stolpersteine“ vor Häusern in Nettetal, in denen früher Juden gelebt haben, die in der NS-Zeit deportiert und umgebracht wurden.
Zehn Schüler des Rhein-Maas-Berufskollegs, Außenstelle Lobberich, hatten in einem Arbeitskreis rund um Schulpfarrerin Anne Wellmann die Feier in der Alten Kirche vorbereitet. Die Kirche, im Krieg ebenfalls geschunden, war ein würdiger Rahmen für diese Gedenkfeier. Vom Berufskolleg hatten rund 200 Schüler bei einer Fahrt nach Berlin im vergangenen Jahr die Gedenkstätte und das Museum KZ Sachsenhausen besucht und ihre Empfindungen vor Ort im Film festgehalten. Im Juni 2024 hatte zudem das Jugendreferat des Evangelischen Kirchenkreises Krefeld-Viersen mit Jugendlichen eine Gedenkstättenfahrt zum KZ Auschwitz-Birkenau gemacht. Die Reise wurde bei Treffen im Spielecafé in Kaldenkirchen vorbereitet.
Die Schülerin Nina fragt sich und uns, ob wir dieses Morden verstanden hätten: „Wo Menschen erschossen wurden, machen wir heute Selfies für Instagramm.“ Das in Auschwitz gedrehte Video von Finja, Schülerin am Berufskolleg Dülken, wurde ebenfalls vorgeführt, kommentiert von Petra Vahrenhorst, Schulpfarrerin in Dülken. Von dort stammt auch die kleine Dokumentation „Bilder im Kopf“ mit Fotos und Texten. Gezeigt wird dabei an diesem Abend etwa eine Ansammlung von Koffern ermordeter Häftlinge. Die kleine Schau mündet in der Mahnung des spanisch-amerikanischen Philosophen George Santayana: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist gezwungen, sie zu wiederholen.“ Diese jetzt wieder abgebaute Ausstellung soll im November länger in der Alten Kirche zu sehen sein, so Dietmar Sagel vom Arbeitskreis Alte Kirche.
Wie wichtig solche Gedenkveranstaltungen überall sind, zeigen aktuelle Studien. Die Kollegschüler zitierten aus der Dunkelfeldstudie Antisemitismus in NRW. Sie zeigte eine große Verbreitung und hohe Zustimmungswerte für antisemitische Vorurteile. In Auftrag gegeben hatte sie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, damals noch Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW: „Die Studie hat besorgniserregende Erkenntnisse aufgezeigt. Bis zu 24 Prozent der Befragten haben in unterschiedlicher Form antisemitische Einstellungen. Besonders erschreckend sind die Werte beim holocaustbezogenen Antisemitismus.“ So wollen 50 Prozent der Befragten den Holocaust kritisch hinterfragen, 47 Prozent wollen einen Schlussstrich unter die Erinnerung daran ziehen. Für ein musikalisches Intermezzo sang Angie Balinski, Sozialarbeiterin am Kolleg in Lobberich, begleitet von Musiklehrer Roman Bonitz den Song „Halleluja“ von Leonhard Cohen. Der Dichter und Sänger Cohen, 1934 in Kanada geboren, bekannte, er sei „mit einem Schlag erwachsen geworden“, als er nach dem Krieg Fotos aus den KZs gesehen habe.