Klassenzimmer wird zur Bühne

„Klamms Krieg“ erzählt vom Scheitern eines Lehrers an seinen Schülern.

St. Tönis. Am Anfang wirbelt er mit erhobenem Zeigefinger und angeschwollener Halsschlagader durchs Klassenzimmer. Später hängt er mit zusammengesacktem Oberkörper über dem Pult und erzählt wirre Geschichten. Zum Schluss steht er mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern vor der Klasse und entschuldigt sich. Herr Klamm ist ein prototypischer Lehrer, der am Zwangssystem der Schule scheitert. Der über sein Ideal, Wissen weiter zu geben und zu formen, das Menschliche vergisst und zum Märtyrer wird. Und er ist ein Lehrer, der letztendlich das Gegenteil von dem erzeugt, was er erreichen will: Eine Klasse, die das Lernen verweigert und schweigt. Nur, dass das Klassenzimmer eine Bühne ist, die Schüler Zuschauer sind und Lehrer Klemm eine fiktive Figur, gespielt von Martin Neumann vom Bielefelder Forum für Kreativität und Kommunikation. Das Theaterstück "Klamms Krieg" von Kai Hensel zog ein breit gefächertes Publikum ins St. Töniser Rathaus. Z ur späteren Diskussionsrunde blieben aufgewühlte Lehrer, Schüler, Eltern und andere Interessenten, die ihre eigenen Erfahrungen mit dem Inhalt des Stückes verglichen. Schüler Christoph Dohm etwa kennt selbst solche Lehrer, die vor Demütigungen und Drohungen nicht zurück schrecken. "Wir würden uns aber nie wirklich auflehnen und rebellieren. Wir regen uns auf und hoffen auf einen neuen Lehrer", erklärt der 15-Jährige. Nicht so die Klasse von Herrn Klamm, die den Selbstmord eines Mitschülers durch konsequentes Schweigen rächt und ihren Lehrer somit erst in den Wahnsinn, dann in die Resignation treibt. Hautnah erlebt man als Zuschauer beide Seiten des Machtkampfes und ist hin und her gerissen zwischen den Gefühlen von Verständnis, Mitleid und Abscheu für beide Parteien. Als Schauspieler Martin Neumann an einem der schulbankähnlichen Tische stehen bleibt, um einen älteren Herren mit angewidertem Blick einen Versager zu nennen, erzeugt das ein beklemmendes Gefühl. Doch als der schmale Mann mit zerzaustem Haar und dünner Stimme um einem Neuanfang bettelt, sich die abwartende Stille aber nicht füllt, ruft das gleichermaßen eine Stimmung von Unbehaglichkeit hervor.

Abhängigkeit zwischen Lehrer und Schülern

Glasklar und differenziert zeichnet Regisseur Hans-Peter Krüger mit seiner Inszenierung die Abhängigkeitsbeziehung zwischen Lehrer und Schüler nach. Das traurige Leben eines Mannes, dessen einziger Lebensinhalt die Schule ist, kommt genauso zum Vorschein wie die Brutalität der Schüler, die einem Lehrer das Leben zur Qual werden lassen können. Schauspieler Martin Neumann, der mit dem Stück auch vor Schulklassen und Lehrerkollegien auftritt, hofft, dass der Stoff zum Nachdenken und zu Diskussionen anregt. "Ich bin der Meinung, dass Lehrern viel mehr Unterstützung von außen angeboten werden müsste. Denn Lehrer werden mit jedem Schuljahr älter und müder, aber die Schüler, die nachkommen, sind immer jung und frisch", erklärt er.