Neersener Festspiele: Nathan überstrahlt alles

Die Inszenierung von „Nathan der Weise“ glänzt bei den Neersener Schlossfestspielen ohne Schnickschnack.

Neersen. Es ist das Stück, das glänzt. Dagegen käme eh nichts an. Und deshalb versuchen es die Neersener Schlossfestspiele auch gar nicht erst. "Nathan der Weise", das am Samstag Premiere feierte, kommt in dieser Inszenierung ohne Schnickschnack daher. Bühnenbild und Kostüme sind schlicht. Nur ein paar kleine Effekte hier und da. Das Stück hat Platz zum Atmen. Nathan hat Platz zum Spielen.

Und Rainer A. Güther ist Nathan. Damit ist eigentlich alles gesagt. Er füllt mit Güte, Liebe und Toleranz die Bühne aus. Und wenn er sich mit Tränen in den Augen und fast erstickter Stimme an den Tod seiner Frau und sieben Söhne erinnert, ermordet von Christen, dann möchte sich einem das Herz zusammenziehen.

Wie dieser Jude trotzdem, über alle Religionsgrenzen hinweg, den Tempelherrn zu seinen Freunden zählt. Wie er ein Kind als seine eigene Tochter groß gezogen hat, die doch getauftes Christenkind ist. Wie er mit seiner Schläue und seiner Menschenliebe den Sultan, den Moslem, beeindruckt. Das alles steht im Zentrum der Geschichte. Und dass die Religionen, dass die Menschen doch alle verwandt sind.

Es sind die wunderschönen Sätze, die in Erinnerung bleiben. Nathan glaubt fest daran, "dass alle Welten gute Menschen tragen". Des Mönchs größtes Kompliment für Nathan ist: "Nathan ihr seid ein Christ." Recha fragt rhetorisch: "Macht denn nur das Blut den Vater?" Und Nathan sagt zum Sultan: "Wir haben uns beide unser Volk nicht ausgesucht."

Zum Wundern und Grübeln, zum Diskutieren und Streiten kommen die drei Religionen auf dem Schlosshof zusammen. Jeder Teil des historischen Gebäudes entspricht dabei im minimalistischen Bühnenbild einer der drei "Parteien".

Nathans Heim und das Judentum sind stilisiert durch Holzstühle und eine braune Wand mit Nietenmuster. Auf der gegenüberliegenden Seite stehen zwei knallrote Kirchenbänke, zwei rote Laternchen und ein zum roten Opferstock mit der Aufschrift "Vergelt’s Gott" umfunktionierter Löschwassereinspeiser für das Christentum. Zwischen ihnen wabert ein goldener Vorhang mit Troddeln. Zwei Kissenträgerinnen funktionieren die Schloss-Stufen Akt für Akt immer wieder zum Innern des Sultanspalastes um.

Das Stück spielt zur Zeit des Dritten Kreuzzugs während eines Waffenstillstands in Jerusalem. Doch weil Themen wie die religiöse Toleranz, Vorurteilsfreiheit oder die Frage der Blutsbande auch über 300Jahre nach der Uraufführung noch aktuell sind, hüllen sich die Schauspieler in der Neersener Nathan-Inszenierung in alles zwischen schicker Abendgarderobe für "Erzieherin" Daja und Che-Guevera-ähnlichem Outfit für den Tempelritter.

Letzteren spielt Wolf-Guido Grasenick - bis auf ein paar bedauerliche Versprecher - auf wunderbar vielfältige Art, als Kerne spuckenden Flegel oder grübelnden Verliebten. Sehr überzeugend spielt auch Stefan Gad (der Sultan) mit seiner Sehnsucht nach dem verlorenen Bruder und seinen überschwänglichen Schwitzkasten-Box-Szenen mit dem seinem Bruder so ähnlich sehenden Tempelherrn. Mehr von den komödiantischen Zügen der Klosterbruder-Rolle möchte man eigentlich von Jan-Christof Kick sehen, der aus einem nicht enden wollenden "Reservoir" unter seinem Talar nicht nur Schnäpschen hervorzaubert.

Etwas oberflächlich bleiben Rollen wie die der im Original eigentlich höchst manipulativen Sittah, Schwester des Sultans. Es mag daran liegen, dass das Stück von Intendatin und Regisseurin Astrid Jacob für Neersen auf zwei Stunden gestrafft wurde. Stefanie Breselow bleibt recht wenig Freiheit des Spiels außer dem neckenden Gesichtsausdruck dem Bruder gegenüber und einem blasierten für Besucher.

Vom Ende soll schließlich nur so viel berichtet sein: Es ist nicht ganz so Friede-Freude-Eierkuchen, wie es im Original vorgesehen ist. Es fällt nicht "Unter stummer Wiederholung allerseitiger Umarmungen" der Vorhang.