Mit Handicap zu Bestweiten

Die 15-jährige Felicitas Merker gehört im Kugelstoßen und Diskuswerfen zu den großen Talenten des Gehörlosenverbandes.

Dormagen. Bevor die 15-jährige Felicitas Merker am vergangenen Freitag zusammen mit ihrem Vater das Flugzeug zu den Deutschen Meisterschaften der Gehörlosen in Richtung Berlin bestieg, war sie ein Fall für die Ärzte. Ihr schmerzte ziemlich das Knie, so dass ein Start zunächst aussichtslos schien.

Für die von ihren Freundinnen nur "Fee" gerufene 15-Jährige waren aber gerade diese Meisterschaften ganz besonders wichtig, ging es doch für sie darum, einen Platz in einem der Perspektivkader zu ergattern, um das langfristige Ziel Olympische Spiele 2012 in London nicht aus den Augen zu verlieren.

Sie konnte dann zum Glück doch starten und wurde gleich zweimal Vizemeisterin bei der B-Jugend (bis 17 Jahre). Sie wurde Zweite im Kugelstoßen (vier Kilogramm) mit einer Weite von 8,15 Meter sowie im Hochsprung mit übersprungenen 1,35 Meter. Gegen die bis zu drei Jahre ältere Konkurrenz behauptete sich Fee also glänzend.

"Für die diesjährigen Europameisterschaften in Sofia kommt sie noch nicht in Frage, dafür ist sie einfach noch zu jung", sagt ein Sprecher des Gehörlosen-Sportverbandes, der die Titelkämpfe auch als Ausscheidung für die EM organisierte. Fee träumt nämlich davon, einmal bei den Paralympics für Deutschland an den Start zu gehen.

Im Gehörlosen-Sportverband ist Felicitas Merker eine der erfolgreichsten Leichtathletinnen in der Schülerklasse. Aber nicht nur dort, auch bei den jungen Leichtathletinnen bis 15 Jahre hält sie glänzend mit. Sie zählt mit zu den besten Nachwuchswerferinnen im Rhein-Kreis Neuss und hat nur die überragende Maike Schmidt aus Korschenbroich vor sich, die übrigens als Kleinkind an Kinderlähmung (wie ihre Mutter berichtete) erkrankt war.

Wer sich mit der 15-jährigen, aus Grevenbroich stammenden Schülerin (Klasse 8d, Diedrich-Uhlhorn-Realschule) unterhält, wird kaum bemerken, dass sie mühsamst die Sprache von den Lippen ablesen muss. Das heißt allerdings: Nur von Angesicht zu Angesicht klappt die Konversation richtig gut.

"Daher ist es auch für sie in der Schule so anstrengend", verrät Fees Mutter. So erkläre sich jedoch der starke Bewegungsdrang ihrer Tochter: "Felicitas braucht den Sport als Ausgleich für den Stress in der Schule." Und so haben die Eltern ihre Tochter vor fünf Jahren beim TSV Bayer Dormagen angemeldet, wohin sie zum viermaligen Training von Grevenbroich aus selbstständig mit dem Bus fährt.

"Wir wollten, dass Felicitas von Anfang an in beste Hände kommt," so ihre Mutter. Zudem gehört sie noch der VSG Leverkusen an, für die sie bei Gehörlosen-Wettkämpfen startet. Und in Dormagen hat sie noch das besondere Glück, dass ihr jetziger Trainer Peter Kassubek gleichzeitig Trainer im Gehörlosen-Sportverband ist.

Fee ist ein sportbegeistertes, ganz normales und erfolgreiches Mädchen. Sie ist mit einem Zeugnisdurchschnitt von 2,2 eine sehr gute Schülerin, die Sport und Französisch besonders gerne mag. Physik liegt ihr dagegen nicht so sehr. Ihr Zwillingsbruder Florian betreibt keine Leichtathletik, sondern ist lieber Schiedsrichter beim Fußball.

Fees Bestleistungen können sich durchaus sehen lassen. Mit der Kugel schaffte sie schon die stolze Weite von 9,81 Meter (drei Kilogramm), den Diskus schleuderte sie bereits 24,56 Meter weit - was sogar Deutsche Schülerbestleistung bei den Gehörlosen ist. "Da ist aber noch viel mehr drin", verrät sie selbstbewusst.

Außerdem ist Felicitas Merker auch im Fünfkampf (Block-Wurf) sehr erfolgreich. "Ich habe zuletzt viel trainiert. Jetzt hoffe ich, dass ich jede Menge Bestleistungen in diesem Jahr erreiche," steckt sie ihr Saisonziel ab.

Was sie später einmal werden will, davon hat sie eine genaue Vorstellung: "Forscherin in der Sport-Rehabilitation oder Sportlehrerin." Auf ihrem Ernährungsplan steht natürlich viel Obst und Gemüse, Käsespätzle ist aber ihr Leibgericht. Neben ihren Schularbeiten und Training bleibt noch Zeit, um sich mit Freunden zu treffen und shoppen zu gehen. Felicitas ist halt ein junger Teenager wie andere Mädchen auch.