Dormagen: Auf der Flucht im Himalaja
Maria von Blumencron erzählt die tragischen und bewegenden Geschichten von Fluchthelfern in Tibet.
Dormagen. Es war ein Abend voller Emotionen. Einige Tränen flossen, viele Gäste der Lesung von Maria von Blumencron waren bestürzt über das, was sie sahen, berührt hat es vermutlich alle. Das Raphaelshaus und die Buchhandlung Seitenweise hatten zu der Veranstaltung unter dem Thema "Auf Wiedersehen Tibet - Auf der Flucht durch Eis und Schnee" geladen. Sie ist die dritte gemeinsame Veranstaltung der Reihe "Vorbilder".
"Eine ganz außergewöhnliche Frau", kündigte Hans Scholten vom Raphaelshaus an, und er sollte Recht behalten. Die zierliche Dame mit den roten langen Haaren und dem schlichten schwarzen Outfit schaffte es, mit ihrer Stimme, ihren Bildern, Klängen und Geschichten eine Welt vor dem inneren Auge entstehen zu lassen.
Maria von Blumencrons erstes Buch befasst sich mit der Flucht von sechs tibetischen Kindern, die sie auf ihrem Weg von Tibet über den Himalaja nach Indien begleitete. In ihrem neuesten Werk schildert sie nun die Geschichte eines tibetischen Fluchthelfers in der Zeitspanne von 1949 bis 2000. Ihre Präsentation dieser Geschichte war mehr als eine Lesung.
Es war vielmehr ein multimediales Abenteuer mit Worten, Bildern, Musik und Filmausschnitten, das eher einem bebilderten Hörspiel glich. Die erfahrene Schauspielerin schaffte es dabei, durch Mimik, Gestik und Stimme ihren ohnehin sehr bildhaften Szenen noch mehr Substanz zu geben.
Auch wenn die Fotos vom "Dach der Welt" und den Gletschern des Himalajas eine romantische Wildnis zeigen, sind die Geschichten, die Maria von Blumencron erzählt, alles andere als idyllisch. Sie erzählt davon, dass tibetische Eltern ihre Kinder nach Indien schicken, damit ihnen der Dalai Lama im Exil eine Ausbildung und Zukunft geben kann. Sie vertrauen sie Fluchthelfern an, die sie über einen 6000 hohen Grenzpass über den Himalaja nach Nepal bringen.
Jedes Jahr treten etwa 1000Kinder auf Geheiß ihrer Eltern diesen Weg an, geplagt von Angst, Heimweh, Hunger und Durst, Kälte und der Notwendigkeit, den unmenschlichen Marsch zu überleben. Nicht alle Kinder erreichen ihr Ziel. Sie erfrieren, verdursten oder werden von den Grenzpatrouillen aufgegriffen. "Das Bild eines erfrorenen Mädchens hatte mich sehr berührt, und ich musste herausfinden, warum Eltern so etwas tun", erinnert sich Blumencron an die Geburtsstunde der Idee vor zehn Jahren, die tibetischen Kinder aufzusuchen.
Die Schilderungen dieser beschwerlichen Reise, bei der die Kinder mehrere Tage zum Teil ohne Proviant und Gepäck unterwegs sind, rührte viele Zuhörer zu Tränen. Auch die Fluchthelfer riskieren bei jeder illegalen Überquerung des Passes ihr Leben.
Nicht selten tragen sie die Kinder auf ihrem Rücken durch den hüfttiefen Schnee, am Rande ihrer Kräfte. Hinzu kommt, dass ihnen jederzeit die Inhaftierung in chinesische Gefängnisse droht. "Auch ich wurde mehrere Tage inhaftiert, aber im Vergleich zu der Folter und den Zuständen, von denen mir tibetische Freunde berichteten, ist das kaum der Rede wert", sagt Maria von Blumencron.
Das Thema Tibet ist aktuell wie noch nie, doch nur wenige Europäer haben einen solchen Einblick in das Leben des Landes geworfen wie Maria von Blumencron: "Dass nun der Druck auf China wächst, ist gut, denn es ist besser, als wenn Tibet in Agonie verfallen würde." Auch die Solidarität des Westens mit Tibet sei ein gutes Zeichen, wenn auch nicht abzusehen sei, ob und wie China auf Dauer reagiere.