Dormagen: Gruseliges im Untergrund
Im Mittelalter gab es in Dormagen mehrere Galgen. Die Richtstätten von einst sind längst vergessen. Der Stürzelberger Historiker Jost Auler hat sie in seinem neuen Buch aufgespürt.
Dormagen. Es muss ein grausiges Bild gewesen sein, das sich dem Reisenden bot, kam er an den Richtstätten vorbei, die allerorts an den Durchgangsstraßen zu finden waren. Raben wiesen schon von weitem den Weg, kreisten über dem Platz, von dem ein schier unerträglicher Gestand nach Moder, Kot und Blut ausging.
In mehreren Metern Höhe, durch eine hohe Mauer zwar von Zugriffen, aber nicht von Blicken geschützt, hingen Leichen in verschiedenen Stadien der Verwesung. Bei manchen wurde der abgeschlagene Kopf auf spitze Nägel gespießt, andere wurden mit zerbrochenen Gliedern halb tot, halb lebendig aufs Rad geflochten und wie auf einem morbiden Präsentierteller ausgestellt.
Die Botschaft war eindeutig: Wer in unserer Gemeinschaft gegen Recht und Ordnung verstößt, muss mit harten Strafen rechnen. "Abschreckend haben öffentliche Hinrichtungen aber wahrscheinlich nicht gewirkt, denn man hatte eine andere Einstellung zum Tod", sagt Jost Auler. Der Stürzelberger Historiker und Archäologe ist der erste, der die Disziplin der Richtstättenarchäologie mit einer umfangreichen Abhandlung begründete.
"Der Alltag im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit war so grausam und unerbittlich, dass die Menschen viel Leid gewohnt waren und oft auch keine andere Wahl hatten, als kriminell zu werden, um zu überleben." So florierte der Handel mit Körperteilen und Körpersäften der Straftäter, mit denen sich mancher Henker noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein Zubrot verdiente.
Vermutlich täglich wurde in jedem der Gerichtsbezirke gefoltert, verstümmelt und im Namen des Gesetzes getötet. Allein für den heutigen Gemeindebereich Dormagen gab es mehrere Richtstätten, beispielsweise für die Burg Hackenbroich.
Zwei Zonser Richtstätten befanden sich am Silbersee und an der B9, wo heute eine Tankstelle steht. Nur wenige Meter weiter, gegenüber dem Raphaelshaus, befand sich die Dormagener Richtstätte.
In Deutschland sind erst 50 Richtstätten wissenschaftlich untersucht. Dazu gehört der Galgenplatz in Neuss, der sich in einer Kleingartenanlage am Obertor befindet. Die Galgen und Richtplätze sind heute längst vergessen und oft mit Häusern überbaut. Und so passiert es auch, dass man bei Bauarbeiten auf ein Skelett stößt, in dessen Kopf ein großer Nagel steckt, wie es im rheinischen Langenfeld geschah.
"Man darf sich die Galgen nicht vorstellen wie im Wilden Westen mit einer einfachen Holzkonstruktion", erklärt Auler. Sie waren massiv bis auf etwa zwei Meter gemauert, rundherum gegen Zugriffe geschützt und nur durch eine Tür zu betreten. Im Innern der runden oder dreieckigen Ummauerung stand erhoben der Galgen, an dem die Delinquenten bis auf vier oder fünf Meter Höhe aufgehängt wurden.
"Sie sollten weithin sichtbar sein. Unter dem Galgen musste genug Platz sein, um die Toten zu verscharren", erklärt der Historiker. Sie durften nicht auf geweihtem Boden begraben werden und bekamen vom Henker eine mehr als unchristliche Beerdigung.
Oft wurden die Leichen "verlocht", wie der Fachmann sagt. Man grub ein Loch unter dem Hängenden, tiefer als breit, schnitt ihn ab und ließ ihn einfach hineinfallen. "Deshalb sind viele der gefundenen Skelette in Hockstellung oder tragen ihren Kopf zwischen den Füßen", weiß Auler.
Seit rund 20 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema und gilt als einer der wenigen Experten auf dem Gebiet. Gerade ist sein "Lebenswerk" als 563 Seiten starkes Buch mit 269 Illustrationen erschienen.
31 Anthropologen und Archäologen, Historiker und Rechtsmediziner, Grabungstechniker und Archivare aus ganz Europa steuerten dazu 34 Beiträge bei. Das Buch "Richtstättenarchäologie" (89 Euro) ist im Buchhandel, Internet oder bei dem Stürzelberger Wissenschaftler erhältlich.