„Mit Gottes Hilfe“ – die Neusser und ihr Oberpfarrer

Wer geglaubt (oder gehofft) hatte, mit dem neuen Pfarrer werde so etwas wie geistliche Normalität an Freithof und Münsterplatz einkehren, dem mussten am Sonntagabend erste Zweifel kommen.

Das Quirinus-Münster ist bis auf den letzten Stehplatz besetzt. Die Orgel braust, die Gemeinde singt, unterstützt vom Chor, "Lobe den Herren". Durch das Hauptschiff ziehen noch die Weihrauchschwaden des gerade zu Ende gegangenen Einzugs: eine nicht enden wollende Reihe in festlichen Gewändern, angeführt von zahlreichen Ministranten. Inzwischen steht der Klerus rund um den Altar. Bekannte Geistliche aus Neuss und den umliegenden Städten sind darunter, auch Vertreter der evangelischen und der orthodoxen Kirche. Als Hauptzelebrant der Messe ist Joachim Kardinal Meisner gekommen, Erzbischof von Köln. Eine schmale Gestalt im Messgewand ist allein unten vor den Stufen zum Altarraum stehengeblieben, die Blicke vieler Dutzend Menschen im Rücken: Guido Assmann.

Wer geglaubt (oder gehofft) hatte, mit dem neuen Pfarrer werde so etwas wie geistliche Normalität an Freithof und Münsterplatz einkehren, dem mussten am Sonntagabend erste Zweifel kommen. Die offizielle Einführung von Monsignore Assmann (43) machte deutlich: Das Amt des Oberpfarrers - eigentlich ein kirchlich unbedeutender Titel - ist in Neuss nach wie vor etwas Besonderes.

Dabei betonte der Kardinal in seiner Predigt die ureigenen Pflichten jedes verantwortlichen Priesters einer Gemeinde, stellte das Beten und das Feiern der Eucharistie heraus und sprach von der "Weltkirche". Auf lokale Eigenheiten ging er kaum ein, erwähnte nur einmal kurz das Schützenfest. Ein Pfarrer sei vor allem Seelsorger, nicht "Organisator", "Psychologe" oder "Freizeitgestalter" - soweit die Interpretation der Aufgabe an St. Quirin aus der Sicht des Nicht-Rheinländers Meisner, der alle Pfarreien im Erzbistum im Blick haben muss.

In der engeren Sicht vor Ort aber ergibt sich noch ein anderes Bild. Auch wenn Neuss nicht mehr die Stadt ist wie zur Jugendzeit des späteren Kardinals Joseph Frings - wohnhaft: im Schatten des Münsters -, so spielt die katholische Kirche immer noch eine große Rolle im städtischen Leben. Und die historisch wie wohl auch architektonisch bedeutendste Kirche gilt als das Zentrum dieses Lokal-Katholizismus.

Umgeben ist sie von künstlerisch gestalteten Heiligen oder zumindest bedeutenden Kirchenmännern, die das Bewusstsein und den Stolz der typisch-Neusser Gesellschaft widerspiegeln. Und nicht von ungefähr nahmen am Sonntag in den für Ehrengäste freigehaltenen vordersten Bänken - von manch neidvollem Blick stehender Messebesucher bedacht - prominente Vertreter dieser Gesellschaft Platz. Die Liste reichte von CDU-Größen aus Stadt, Land, Bund über den Leiter des Erzbischöflichen Mädchengymnasiums bis zum Vorsitzenden des Diözesanrats. Natürlich durfte auch der Schützenkönig nicht fehlen.

Das ist der Mikrokosmos, der auf Guido Assmann wartet - keine Verheißung auf Normalität im priesterlichen Berufsalltag. "Alle haben große Erwartungen an mich", sagte der neue Oberpfarrer dann auch nach seiner Einführung der WZ. "Ich hoffe, mit Gottes Hilfe einigen davon gerecht zu werden."