Neuss: Ade dem Fließbandtheater

Rheinisches Landestheater: Carmen Betker, Aurel von Arx und Tim Knapper gehen.

Neuss. Sie spielen "Verbrechen und Leidenschaft" der Shakespeare-Zeitgenossen Middleton/Rowley, Strindbergs Fräulein Julie, Genets "Die Zofen" und den Jedermann, sie agieren in "Der gute Mensch von Sezuan", im "Café Umberto" und im Kinderstück "Unser Muni".

Fast alles gleichzeitig. In Neuss, Gütersloh, Radevormwald oder Bad Berleburg. Für die drei Jungschauspieler Carmen Betker, Aurel von Arx und Tim Knapper sind es die letzten Spieltage am Rheinischen Landestheater.

Schon weniger stressig als zuvor, sagen sie, geht doch die Spielzeit ihrem Ende zu. Nach drei beziehungsweise vier Jahren an dieser Bühne haben alle Drei gekündigt. Ein neues Engagement hat niemand.

Vor drei Jahren haben Knapper und von Arx mit ihrem ersten Engagement in Neuss angefangen, für Carmen Betker war es vor vier Jahren - nach einem Jahr in Leipzig - die zweite Stelle. Nun sind sie erfahrener und ernüchtert. "Gut ist es, dass Anfänger hier schon große Rollen bekommen", sagt Tim Knapper.

Zustimmung bei den Kollegen. Und Carmen Betker ergänzt: "Und dass wir unter wirklich guten Regisseuren spielen konnten." Eine gute Stimmung im Ensemble, viel gelernt, viel erfahren, viel durchgestanden.

Doch vor allem das vergangene Jahr hat geschlaucht. Immer mehr Abstecher, wie die Gastauftritte in ganz NRW heißen, gab es: Das ist Auftrag der vier Landestheater, jeder Verkauf zählt als Erfolg, und doch bindet er mit teils langen Busfahrten und den Auftritten Zeit, die für die Proben verloren geht. Die Busfahrten seien wirklich keine Ruhepausen, erklärt Tim Knapper bitter, Aurel von Arx fasst es drastischer mit "Freiheitsberaubung."

Carmen Betker schließlich dolmetscht: Da habe sie mit "Fräulein Julie" eine wirkliche Traumrolle, und dann fehle die Zeit für die Proben, weil so viele Märchen verkauft wurden; "einfach furchtbar". Aurel von Arx, der für seinen Hamlet den Preis als bester Nachwuchsschauspieler in NRW erhielt, bestätigt das: Man wolle etwas Tolles spielen, aber das werde organisatorisch im Orkus versenkt.

Und das Ergebnis verschlechtere sich. "Das nennt man dann wohl ’Loose-Loose-Situation.’" Auch von Tim Knapper kommt kein Widerspruch: "Dieses Fließbandtheater hat mich oft belastet."

Erfahrungen haben sie reichlich gesammelt, gute wie weniger gute. Für die beiden Männer ein Highlight: Ihre 24-Stunden-Improvisation als Protest gegen die "Schmerzliste" der Verwaltung. Und doch überwiegt die Erkenntnis: "Der Erfahrungswert ist riesig. Aber die Erfahrung tut schon fast weh, wenn man sie nicht ummünzen kann", so Aurel von Arx. Ummünzen in eine neues Engagement.

Das ist für die Drei nicht in Sicht. Dennoch stand die Kündigung fest. Trotz vieler guter Erfahrungen sei sie tatsächlich ausgebrannt, sagt Carmen Betker, Tim Knapper erkennt eine "gewisse Routine", die er beenden will, und Aurel von Arx ("Busfahren kann ich mittlerweile") erklärt, er habe viele Lehren gezogen und sage nun: "Gut, dass es zu Ende ist."

Er geht jetzt nach Berlin, dorthin, wo nach Meinung von Tim Knapper jeder zweite Kellner Schauspieler ist. Knapper selbst zieht es auch in die Hauptstadt, Carmen Betker hat ein Vorsprechen ergattert. Wo, will sie lieber nicht sagen, toi, toi, toi.

Was sie dem Theater wünschen? Die Antworten kommen schnell. Dass das Haus bald noch mehr in der Stadt zu Hause sei. Dass ein Geist entsteht, der die Wertschätzung für eine so wertvolle Institution fördert. Mehr Geld für die Schauspieler. Und mehr Zuschauer.