Neuss: Indianische Henne zum Mahl

Projekt: Schriftliche Quellen und archäologische Funde liefern ein Bild der Ernährung in Neuss im späten Mittelalter.

Neuss. Neuss als "Food City", als Kommune, die auch und gerade auf dem Lebensmittelsektor Wirtschaftskraft beweist, ist ein Schlagwort der vergangenen Jahre. Food City im Spätmittelalter? Wenig wusste man bislang über Ernährungsgewohnheiten und den Umschlag von Lebensmitteln in der Stadt. Jetzt ist belegt:

Neuss war vor 400, 500 Jahren eine Stadt, in der es eine intensive agrarische Produktion gab, regen Handel mit Getreide oder Öl aus den heimischen Mühlen, andererseits Importe von Lebensmitteln via Venedig aus dem Orient, und: Der Neusser jener Zeit, auch wenn er nicht zu den ganz Begüterten zählte, aß gar nicht schlecht und äußerst vielfältig. "Food City fängt hier an." Davon ist Carl Pause überzeugt.

Der Archäologe am Clemens-Sels-Museum hat in einem Projekt unterschiedliche Forschungen zusammengeführt. Da sind einmal die schriftlichen Quellen aus dem Stadtarchiv. Besonders aufschlussreich: Die Rechnungen des Gasthauses zum Heiligen Geist, des Hospitals nahe am Markt, in dem Arme und Kranke verpflegt wurden.

Und ellenlange Einkaufslisten und Rechnungen des Stifts St.Quirin, etwa für Festessen anlässlich der Äbtissinnenwahlen. Hinzu kommen die Erkenntnisse aus Grabungen unter der Regie von Stadtarchäologin Sabine Sauer, schließlich die Auswertung von Tierknochenfunden sowie Ergebnisse der sogenannten Archo-Botanik.

Im späten Mittelalter aßen die Menschen in Neuss, auch die Ärmeren, in großen Mengen Fleisch, deutlich mehr als etwa im 18.Jahrhundert. Schwein war besonders begehrt, natürlich gab es Rind, aber auch zum Beginn des 15. Jahrhunderts schon Kaninchen.

Und auch die "indianische Henne" taucht zum Beispiel in den Bestelllisten der Damen von St. Quirin auf: Truthahn, ein Import aus dem holländischen Neu-Amsterdam, das später zu New York wurde.

Unmengen Salz wurden als Konservierungsmittel verbraucht. Fisch war in großer Vielfalt verfügbar: Hering, Lachs und Kabeljau werden in Rechnung gestellt, aber auch Hecht und Karpfen, Brassen und Schleie, auch der Maifisch, der in großen Mengen aus dem Rhein geholt wurde. Selbst Fischzucht ist im 16.Jahrhundert bereits nachzuweisen.

Roggen, Weizen, Gerste wurden angebaut und genutzt, und sogar Reis wurde gekauft: Das aber wohl nur von den vermögenderen Kreisen. In St.Quirin etwa stand er als Milchreis auf dem Speiseplan, mit Obst und vielleicht sogar gesüßt mit dem kostbaren Zucker. Den gab es sogar im Hospital: Als Medikament für Schwerkranke, aufgelöst in Wein.

Der Käse übrigens kam zu jener Zeit hauptsächlich aus Holland. Die Böden in und um Neuss waren einfach zu gut, um sie in großem Stil für die Weidewirtschaft zu nutzen.

Gekocht wurde im späten Mittelalter in aller Regel nach dem Motto "alles in einen Topf". Der stand entweder über dem Feuer oder hing als Kessel über dem Herd: Ließ man den an der Aufhängung ein wenig tiefer aufs Feuer hinab, legte die Köchin "einen Zahn zu". Bratpfannen oder Bratspieße waren etwas für die feineren Herrschaften.

Die tafelten, etwa im Stift St.Quirin, ausgezeichnet, auch wenn die Neusser dann doch einmal darbten. Zur Zeit der hessischen Besatzung etwa, als die Menschen laut Pause "auf dem Zahnfleisch gingen", bestellte das Stift zur Äbtissinnenwahl 1641 Feigen und Limonen, Safran, Ingwer, Rosenwasser, Kapern, Hecht und Brassen. Nicht zu vergessen: 100 Austern, die aus Köln geholt wurden.

Eine Fülle von Informationen muss Carl Pause nun strukturieren und für die Präsentation in der neuen Mittelalter-Dauerausstellung zusammenfassen. Eine Auswertung dieser Art jedenfalls, da ist er mit seinen Mitstreitern einig, gibt es in ganz Nordrhein-Westfalen nicht noch einmal.