Plädoyers im Dramé-Prozess Staatsanwaltschaft fordert Freisprüche nach Polizeischüssen
Dortmund · Nach einjährigem Prozess um einen tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund sieht die Staatsanwaltschaft bei den angeklagten Beamten keine Schuld mehr für den Tod eines 16-Jährigen - außer beim Chef.
Für den wegen tödlicher Schüsse auf einen jungen Flüchtling bei einem Einsatz im August 2022 in Dortmund angeklagten Polizisten fordert die Staatsanwaltschaft einen Freispruch. Anders als sein Vorgesetzter, der sich unter anderem durch seine nicht durchdachte Einsatzplanung der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht habe, sei dem Schützen keine Straftat vorzuwerfen.
Er habe vielmehr fälschlicherweise angenommen, sich und seine Kollegen vor einem Angriff schützen zu müssen. In der Dynamik der Situation habe er nicht erkennen können, dass der Jugendliche mit dem Messer gar nicht angreifen, sondern nur der Situation entkommen wollte, schilderten die Anklagevertreter in ihrem zweistündigen Plädoyer vor dem Landgericht. Die irrtümlich angenommene Notwehrlage rechtfertige die Schüsse auf den Oberkörper des Jugendlichen, weil alles schnell gehen musste - auch ohne Warnschuss.
Der 16-jährige Mouhamed Dramé war von fünf Schüssen aus der Maschinenpistole des angeklagten Schützen im Innenhof seiner Wohngruppe getroffen worden und später im Krankenhaus gestorben. Die Polizei war ausgerückt, weil der Geflüchtete aus dem Senegal dort in einer Nische, mit einem Messer auf sich selbst gerichtet, verharrte.
Als die Versuche ihn anzusprechen scheiterten, wurde er auf Anweisung des Dienstgruppenführers hin mit Pfefferspray besprüht. Statt das Messer fallen zu lassen, bewegte er sich zügig auf die Beamten zu. Ein Polizist und eine Polizistin setzten ihre Taser ein. Kurz darauf feuerte der Angeklagte die Schüsse ab.
Staatsanwalt: „Stumpf die Einsatzplanung umgesetzt“
Die Staatsanwaltschaft hatte den Polizisten ursprünglich wegen Totschlags angeklagt, seine Kollegen wegen gefährlicher Körperverletzung und den Vorgesetzten wegen Anstiftung zu dieser.
Nach der Anhörung zahlreicher Zeugen, Aussagen von Sachverständigen und Einlassungen der Angeklagten hat sich die Einschätzung der Staatsanwaltschaft jedoch deutlich geändert. Allein dem Dienstgruppenleiter sei unrechtmäßiges Verhalten zur Last zu legen. Er habe zu Unrecht und zu unüberlegt den Einsatz von Pfefferspray angeordnet - und so den fatalen Lauf der Dinge in Gang gesetzt.
Der Vorgesetzte habe keine alternativen Einsatzoptionen geprüft und keine besonnene Neubewertung vorgenommen, als er vor Ort war, sondern „stumpf die erste Planung“ umgesetzt, sagte Oberstaatsanwalt Carsten Dombert. Der 56-jährige erfahrene Dienstgruppenführer hatte im Prozess ausgesagt, er habe befürchtet, dass der Jugendliche sich das Messer in den Bauch rammt und ihn daher mit dem Reizgas entwaffnen wollen. Einen unmittelbar drohenden Suizidversuch konnte die Staatsanwaltschaft hingegen bei dem statisch verharrenden 16-Jährigen nicht erkennen.
Keine rassistischen Motive erkennbar
Der Fall habe in der Zivilgesellschaft für großes Echo gesorgt, betonte Dombert. Dabei seien „reflexhafte Stereotype von rechts wie links“ bedient worden, die sich allesamt als unzutreffend erwiesen hätten, betonte der Oberstaatsanwalt in seinem Schlusswort. Die Anklagten hätten zu keiner Zeit rassistische Motive für ihr Verhalten erkennen lassen, auch habe die Polizei hochprofessionelle Ermittlungsarbeit geleistet, die schließlich zur Anklageerhebung und zum Prozess geführt hätten.
An diesem Mittwoch werden die Plädoyers fortgesetzt. Dann wird die Nebenklagevertreterin ihr Schlusswort halten, es folgen die Verteidiger. Ein Urteil soll nach bisheriger Planung am 12. Dezember verkündet werden.
© dpa-infocom, dpa:241202-930-305758/2