Orgel-Tage: Reise in eine andere Welt
Meisterschülerin Sieglinde Ahrens beeindruckt in Oberbarmen.
Wuppertal. Ganz alt und sehr neu: Wie reizvoll dieser Kontrast auch im Musikalischen ist, zeigte das dritte Konzert der Wuppertaler Orgeltage in der Kirche St. Johann Baptist in Oberbarmen.
Gregorianische Choräle stellt die Choralschola "Anima Vocis" vor (Leitung: Jörg Stephan Vogel). Sieglinde Ahrens spielt aus Olivier Messiaens Spätwerk "Livre du Saint Sacrement" von 1984, zu denen die gregorianischen Hymnen, Antiphone und Responsorien in direktem oder thematischem Zusammenhang stehen. Die einstimmigen Gesänge - oft mit Vorsänger - sind die älteste Form vokalen Musizierens und waren ursprünglich elementarer Bestandteil des Gottesdienstes. Sie rühren durch ihre Schlichtheit und Ruhe unmittelbar an - besonders, wenn sie so sauber und engagiert vorgetragen werden wie von den sieben Damen der Schola.
Mit Ahrens, Meisterschülerin von Olivier Messiaen, trafen die Veranstalter die beste Wahl, um den 100. Geburtstages des großen Mystikers unter den Komponisten zu feiern. Nur selten hört man Messiaen so verständnisvoll und versiert musiziert. Die 72-Jährige forscht dem Messiaen´schen Kosmos, der Verbindung von Klang und Farbe, intensiv nach.
Sie registriert so schlüssig, dass der Klangfarbenreichtum der Komposition, deren Sätze oft mit der gregorianischen Choralzeile beginnen, in den Mittelpunkt rückt. Immer entsprechen die Registerwahlen dem Anliegen. Meditativ ist der Zusammenklang der Grundstimmen bei "Der verborgene Gott", über dem man Vogelstimmen ausmachen kann. Die hört man auch im Satz "Das Manna und das Brot des Lebens". Flügelflirren und abgehackte Vogelrufe erscheinen in extremen Registrierungen.
Sehr mystisch klingt der Abschnitt "Einsetzung der Eucharistie": Über dem tiefen Bordun eines Sextakkordes erheben sich einzelne fahle Akkord-Cluster. Allein der trillernde Vogel verspricht Hoffnung. Mit vielfarbigen Akkorden, heftigem Schreiten, zerhacktem Rhythmus wie von Rede und Gegenrede und fern jeder Tonalität schließt der letzte Zyklus-Satz: "Opfergabe und abschließendes Halleluja".
In wohltuender Ruhe spielt Ahrens Messiaens Werk, ohne ihm energischen Zugriff an exponierten Stellen zu versagen. So ermöglicht sie ein intensives Nachhören der suggestiven Musik, die in andere Welten entrückt - sofern man sich auf sie einlässt.