Digitalstrategie — das plant NRW

Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) stellt das 64-Seiten-Papier vor. Und ruft Bürger und Organisationen zur Diskussion über Chancen und Risiken auf.

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Düsseldorf. Andreas Pinkwart ist seit gut einem Jahr NRW-Wirtschaftsminister. Und in dieser Funktion ausdrücklich auch für Digitalisierung zuständig. Eben in diesem Bereich ist der FDP-Mann besonders umtriebig. Zwei Beispiele aus den vergangenen Tagen: Mit den großen Telekommunikationsunternehmen hat der Minister einen Mobilfunkpakt geschlossen, damit diese möglichst zügig Funklöcher in der Mobilfunkversorgung insbesondere an Autobahnen und Bahntrassen zu Leibe rücken. Und auf einem „Gigabit-Gipfel“ am Dienstagabend vereinbarte Pinkwart mit den führenden Netzbetreibern sowie den Branchenverbänden eine Zusammenarbeit zur Schaffung flächendeckender gigabitfähiger Netze bis 2025. Bis spätestens 2022 sollen alle Gewerbegebiete und Schulen angeschlossen sein.

Während schon all das erst noch der Umsetzung in der Praxis harrt, präsentiert Pinkwart bereits einen noch viel umfassenderen Masterplan: die unter seiner Federführung mit den anderen Ministerien erstellte „Strategie für das digitale Nordrhein-Westfalen“. Nachzulesen in einem 64-seitigen Papier, das seit Mittwoch auf der Internetseite des Wirtschaftsministeriums einsehbar ist. Mit der damit verbundenen Aufforderung zu einem „Jeder kann mitmachen“.

Das Ministerium hat nämlich eine Agentur beauftragt, die ab Ende August einen Online-Austausch mit den Bürgern über eben diese Digitalstrategie organisieren soll. Hier kann dann jeder Interessierte zu den Themen, die ihn im Bereich Digitalisierung umtreiben, Anregungen geben und Bedenken geltend machen. Gleichzeitig werden Verbände, Organisationen, Kommunen und andere Interessierte aktiv angestoßen, ihre Sicht der Dinge einzubringen. Dieser Beteiligungsprozess soll bis Ende des Jahres dauern und dann um den Jahreswechsel vom Landeskabinett als Handlungsauftrag verabschiedet werden. Einige der Schwerpunkte der Strategie:

Digitale Bildung: Hier geht es um die Vermittlung von Medienkompetenzen, wozu auch Grundbildung im Bereich Informatik gehöre. Lehrkräfte sollen in Sachen Digitalisierung qualifiziert werden. Schließlich sei der Zugang zu digitalen Medien und Inhalten wichtig. Dafür bedürfe es gigabitfähiger Internetanschlüsse.

NRW-Digitalminister Andreas Pinkwart (FDP). Archiv-Foto: Anna Schwartz

Wirtschaft: Beim Thema Start-ups verweist Pinkwart auf den strategischen Vorteil, den NRW als einer der dichtesten Wissenschaftsräume Europas biete. Neue Unternehmen seien mit ihren Ideen für digitale Geschäftsmodelle wichtig für zukunftsfähige Arbeitsplätze. So freut sich der Minister darüber, dass VW mit der Erforschung des digitalen Autos nach Bochum gegangen sei — mit demnächst bis zu 1000 Forschern. Er habe die Geschäftsführung auf deren Motive angesprochen. Diese habe eigentlich nach Stuttgart gehen wollen, aber da habe man keine klugen Köpfe mehr gefunden. Wenn man diese klugen Köpfe aber nach Stuttgart holen wolle, habe man für sie keinen Wohnraum. In Bochum hingegen gebe es sowohl die klugen Köpfe aus NRW, den Wohnraum und die Gewerbeflächen. Solche Erfolgsgeschichten will Pinkwart fortschreiben — mit Startup-Centern und Gründernetzwerken in Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft.

Mobilität: Mit Hilfe der Digitalisierung soll es beispielsweise an Autobahnkreuzen Wegweistafeln mit Stauinformationen geben, auf Landstraßen sollen digitale Ampelsteuerungen für einen besseren Verkehrsfluss sorgen.

Gesundheit: Hier geht es Pinkwart um eine Vernetzung der bis zu 120 000 Arzt- und Zahnarztpraxen, der mehr als 350 Krankenhäuser, der 4400 Apotheken, der Pflegeheime und weiteren Einrichtungen des Gesundheitswesens. „Patienten brauchen dann nicht mehr ihre Röntgenaufnahmen und Befunde in Papierumschlägen von Arzt zu Arzt zu tragen, sondern diese werden in Zukunft schnell und sicher elektronisch übermittelt.“ Die Landesregierung fördere telemedizinische Basistechnologien wie die Videokonferenztechnik in Krankenhäusern.

Forschung und Innovation: Gemeinsam mit den Universitäten Duisburg-Essen, Dortmund und Wuppertal werde die Struktur für ein neues Kompetenzzentrum Künstliche Intelligenz entwickelt.

Digitale Gesellschaft: Dass Digitalisierung die Gesellschaft, die Kommunikation und auch die demokratischen Prozesse verändert, wird durchaus in dem Strategiepapier thematisiert. So bestehe etwa die Gefahr, dass weniger medienkompetente Bevölkerungsgruppen abgehängt oder Informations- und Wissensvermittlung manipuliert werde. Die „digitale Gesellschaft“ solle daher auch wissenschaftlich begleitet und untersucht werden, so der Plan.

Von der Opposition gibt es für all das keinen Applaus. Christina Kampmann, Sprecherin der SPD für Digitalisierung, bemängelte, dass das Papier eher eine Bestandsaufnahme als eine Strategie sei. Auf die Kernfrage, was die Digitalisierung konkret für die Menschen bedeutet, finde man keine Antworten. „Der digitale Strukturwandel wird auch in unserem Bundesland viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreffen. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf ihre Arbeitsplätze? Diese Fragen geraten im Vergleich zu Gründern und Wagniskapital eindeutig in den Hintergrund.“ Für Start-ups biete das Papier vielleicht Chancen. Für Arbeitnehmer dürfte es aber eine harte Landung bedeuten, so Kampmann.

Für die Grünen sagte deren Sprecher für Digitalisierung, Matthi Bolte: „Die 64 Seiten sind eine Bestandsaufnahme und eine Neuformulierung der Versatzstücke aus dem Koalitionsvertrag. Wenn Schwarz-Gelb schon für so ein Dokument ein ganzes Jahr braucht, wie lange dauert es dann, bis konkrete Maßnahmen aufs Gleis gesetzt werden?“ Die einzelnen Punkte seien überwiegend nicht mit konkreten Zeitplänen hinterlegt, erst recht gebe es keine klaren Budgetzusagen.