Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ als beklemmend aktuelle Neu-Inszenierung in Düsseldorf Der Schmerz nach dem Krieg
DÜSSELDORF · Nach drei Jahren in einem mörderischen Krieg findet sich Beckmann einfach nicht mehr im „normalen“ Leben zurecht. Abgemagert, kahlgeschoren, mit Punker-Bürstenschnitt und mit durchgeschossenem Knie humpelt er durch eine Landschaft von grau-schwarzen Quadern.
Nur verschwommen sieht er die Konturen der Häuser und Menschen; denn der wohl bekannteste Kriegsheimkehrer deutscher Nachkriegs-Literatur hat bei den Kämpfen seine Brille verloren. Und erahnt durch seine schwarz umrandete „Gasmasken-Brille“ die Welt nur in vagen Umrissen: materielle und seelische Trümmer, überall. Auf Gazevorhängen sieht man, wie Beckmann im freien Fall durch den finsteren Nachkriegs-Kosmos schwebt.
So zumindest in der gefeierten Neu-Inszenierung von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ im Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit Jahrzehnten ist das Antikriegsstück Pflichtlektüre für viele Schüler-Generationen: Der begabte Lyriker und Jung-Autor verfasste es 1947 als Reaktion auf seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Nur einen Tag, nachdem Borchert, mit gerade mal 26 Jahren, in einem Sanatorium gestorben war, wurde es uraufgeführt.
Protagonist Beckmann wird von Raphael Gehrmann als packende Charakterstudie angelegt. Und wie bei „Biedermann und Brandstifter“ setzen Regisseur Adrian Figueroa und Ausstatterin Irina Schicketanz auf geschnitzte Tableaus überwiegend in Schwarz-Anthrazit, auf Innen- und Außenansichten von Wohn-Quadern auf kreisender Bühne. Wenn auch kein einziges Requisit auf heutige Kriege verweist, so wirken Figuren und innere Dialoge beklemmend aktuell – trotz kunstvoller Projektionen der Figuren auf Häuserwände, oder der Zuspitzung der namenlosen Typen wie in Comics.
Ein Kabarettdirektor in rot-gold-betresster Uniform: Thiemo Schwarz mimt den aufgeblasenen Wichtigtuer mit glitzernder Riesen-Brille, der zwar Mitleid mit Beckmann hat, ihn aber wegen seiner kargen Direktheit nicht engagieren will. Aus Angst davor, dass der Kriegsversehrte das Publikum verschrecken könnte. Überspitzte Karikatur bietet auch Claudia Hübbecker als Frau Kramer: Zuerst verlegen, dann verlogen öffnet sie nur einen Spalt die Türe zur Wohnung von Beckmanns Eltern. Ihr gehört jetzt die Bleibe, weil Beckmanns Vater sich angeblich in Bombennächten im Bunker zu lautstark als strammer Nazi äußerte. So bleibt auch diese Türe verschlossen.
Wie letztlich auch beim Oberst: Selbstgerecht und ewig mampfend an reich gedeckter Festtafel sitzend (Florian Lange), weist er den Soldaten zurück: Naiv will Beckmann seinem früheren Vorgesetzten, dem Oberst, seine Verantwortung für elf Tote zurückgeben, die im Kampf neben ihm gestorben sind. Wie in dieser Schlüsselszene neben dem Oberst, der scheinbar nichts aus der Nazizeit gelernt hat, so entwickelt sich Beckmann in den pausenlosen, packenden 100 Minuten als tragisch vereinsamter Mensch, von inneren Dämonen und psychischen Kämpfen gepeinigt und außerstande, seine Kriegs-Traumata zu überwinden.
Verzweifelt ringt er mit dem Schmerz über sein verlorenes Kind und seine zerbrochene Ehe (im Bett liegt jetzt ein anderer) – häufig im Zwiegespräch mit dem „Anderen“: Wie ein Optimist hellt sein Alter Ego (Sonja Beißwenger mit der gleichen Punker-Frisur) seine dunkle Welt auf. Nimmt ihn wie ein Blindenführer an die Hand und will ihn von einem Selbstmord abhalten: „Du kannst doch nicht einfach in die Elbe jumpen!“ Ob der Andere ihn wirklich abhalten kann, bleibt bis zum Schluss unklar.
Selbst nach der versöhnlichen Begegnung mit einem Mädchen (Pauline Kästner) versinkt er wieder in Zweifel und Ängste: Sie ist die einzige, die ihn mit Gefühlen überrumpelt. Doch als klar wird, dass deren Mann nicht aus dem Krieg zurückkehrte, nimmt Beckmann wieder Reißaus. Fazit: Figuren und Texte haben in dieser Inszenierung auch nach 77 Jahren nichts an Intensität und Aktualität eingebüßt.