Absprachen im Strafprozess: Zweifelhafter Handel um die Wahrheit
Wildwuchs bei Absprachen im Strafprozess wird beschnitten
Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts. Eine Selbstverständlichkeit? Keineswegs. Denn wenn es eine wäre, hätte das Bundesverfassungsgericht sie in seinem Urteil zu Absprachen im Strafprozess nicht ausdrücklich betonen müssen.
Dass die höchsten Richter dennoch das Ziel der Wahrheitsfindung allen am Strafprozess Beteiligten eindringlich nahelegten — Staatsanwälten, Verteidigern und sogar Richtern —, zeigt vor allem eines: Um dieses wichtige Prinzip ist es in der Praxis nicht immer gut bestellt. Der Deal, die Absprache, oder — wie es offiziell heißt — die Verständigung der Prozessbeteiligten bietet offenbar einen starken Anreiz, es mit der Wahrheitsfindung nicht so genau zu nehmen.
Es wäre naiv gewesen, vom Verfassungsgericht zu erwarten, dass es die Absprachen verbietet. Absprachen, in denen dem Angeklagten klargemacht wird: Wenn du gestehst, kommst du mit einer milderen Strafe davon. Es gibt durchaus gute Argumente für solche Deals. Die Gerichte sind überlastet, endlose Verfahren und die dadurch zunehmende Überlastung der Justiz und Wartezeiten in anderen Fällen sind auch nicht gut für das Gerechtigkeitsgefühl. Hinzu kommt, dass ein schnelles Geständnis im Interesse von Tatopfern oder Zeugen liegen kann, denen damit eine psychisch belastende Aussage im Gerichtssaal erspart wird.
Dennoch ist der Eindruck, dass bei vielen Deals unwürdig mit Gerechtigkeit gehandelt wird, fatal. Oftmals ist der Angeklagte nicht mal dabei, wenn Verteidiger, Richter und Staatsanwalt das Strafmaß auskungeln. Dem Angeklagten wird ein Geständnis aufgedrängt — mit der mehr oder weniger subtil ausgesprochenen Drohung, dass es sonst für ihn viel schlimmer kommen werde.
Auch wenn man diese Verständigungen noch widerwillig akzeptiert — ein solches Geständnis darf jedenfalls nicht ohne nähere Überprüfung zur Grundlage des Urteils gemacht werden. Dies verlangt Karlsruhe mit deutlichen Worten von Richtern und Staatsanwälten. Die Juristen-Kollegen stehen nun unter Bewährung. Verbessert sich die Praxis nicht, werden sie vielleicht schon in ein paar Jahren erleben, dass das Bundesverfassungsgericht ihnen das so liebgewonnene Instrument des Deals ganz aus der Hand schlägt.