Meinung Arbeitsmarkt: Die Fünf vor dem Komma
Die weitaus meisten Jahre seit der Wiedervereinigung sah der Arbeitsmarkt so aus: Zweistellige Arbeitslosenquoten im Osten und in Bremen, fast zweistellige im großen Rest, und nur der Süden und Südwesten glänzte mit fünf oder sechs Prozent.
Jetzt liegt der Bundesdurchschnitt bei 5,9 Prozent! Bayern ist sozusagen überall.
Das ist ein fantastischer Erfolg der Reformen Gerhard Schröders und der Politik Angela Merkels. Freilich, ohne die sozialen Korrekturen der aktuellen Regierung, ohne den Mindestlohn und die begonnenen Reformen bei Leiharbeit und Werkverträgen, wäre die Bilanz erheblich getrübt. Es geht ja nicht um Arbeit an sich, sondern um Arbeit, von der man auch leben kann. Das gelingt wieder viel öfter. Außerdem ist die Position der Arbeitnehmer bei Tarifverhandlungen stärker geworden und die Löhne steigen.
Im Detail verbergen sich hinter der guten Entwicklung freilich auch noch Probleme. So muss Bremen sich fragen, was falsch läuft, wenn das Land nun das einzige mit zweistelliger Quote ist. Und das als Westland. Berlin hingegen, das von den Umbrüchen der Nachwendezeit besonders gebeutelt worden war, scheint jetzt endlich auf dem aufsteigenden Ast zu sitzen. Aber hält das auch, wenn sich das dortige Politikversagen - Stichwort Großflughafen, Stichwort Verwaltungschaos - fortsetzt?
Höchst problematisch ist auch der Ausbildungsmarkt. Immer mehr Stellen können nicht besetzt werden, weil es an qualifizierten Bewerbern fehlt. Welche Auswirkungen wird der sich verstärkende Fachkräftemangel haben, wann schlägt das durch auf die Wirtschaftlichkeit der Betriebe - und dann auch auf die Beschäftigung selbst?
In der Arbeitsmarktpolitik darf man sich nie ausruhen. Derzeit am vordringlichsten ist die Integration der Flüchtlinge, die nicht zu einem neuen Reserveheer werden dürfen, das die Arbeitsbedingungen wieder drückt. Dabei geht es nicht um schnelle Vermittlung in Hilfsjobs, sondern um qualifizierte Aus- und Fortbildung. Das dauert länger. Und fast eine Million Langzeitarbeitslose deuten darauf hin, dass es weiterhin strukturelle Probleme gibt, die zu sozialem Sprengstoff werden können, wenn es ökonomisch mal schwieriger wird. Das schlechte Bildungsniveau vieler Bewerber etwa, die weiterhin fehlende Vereinbarkeit von Familie oder Pflege und Beruf oder auch die mangelnde Integration Behinderter.
Trotzdem darf man nach so einem Tag festhalten: Die Fünf vor dem Komma, das ist praktisch Vollbeschäftigung. Und die hilft den Schwachen mehr als jeder Sozialtransfer. Das muss man den gegen jegliche Arbeitsmarktreformen protestierenden französischen Gewerkschaften deutlich sagen, und auch hierzulande all jenen, die zurückwollen in die Zeit vor Hartz IV, als man sich mit Millionen Arbeitslosen abgefunden hatte und sie bloß noch alimentierte.