Bitcom-Studie: Einfach mal den Stecker ziehen
Das digitale Zeitalter braucht Maß und Orientierung
Die industrielle Revolution dauerte ein Jahrhundert, die digitale Revolution nicht einmal ein Jahrzehnt. Die industrielle Revolution kam mit Dampf, Getöse und monströser Technik über die Zivilisation, die digitale Revolution mit leisen Mini-Maschinchen, die sich zunehmend in Luft auflösen.
Doch die Winzigkeit des High-Tech-Seins täuscht. Mit hohem Tempo krempelt das Internet die Lebensstile der Menschen um und katapultiert uns mit seiner gewaltigen Dynamik in ein neues Zeitalter.
Das Internet wird zum Beschleuniger der Kommunikationsgesellschaft: Wir chatten in globalen Netzwerken, machen im Cyberspace unsere Jobs, suchen nach der Liebe fürs Leben, gehen auf Schnäppchenjagd, buchen Reisen, trauern auf virtuellen Friedhöfen um Angehörige. Das Internet ist die unsichtbare Mega-Maschine der Gegenwart; es löst Grenzen von Raum und Zeit auf, verleibt sich zentrale Bereiche unseres Lebens ein.
Schon warnt die IT-Branche, dass in Deutschland eine Offline-Unterschicht zurückbleibt, die sich fremd fühlt in der schönen neuen Welt der Laptops, Tablets und Smartphones.
Dabei ist die Wirklichkeit komplexer. Fest steht zwar: Wer sich nicht souverän im Internet bewegt, hat es auf dem Arbeitsmarkt schwer. Doch sind nicht diejenigen die Gewinner der digitalen Revolution, die ohne Unterlass online sind. Im Gegenteil: Wer sich vom Netz aufsaugen lässt, wird sich darin verlieren. Übergewicht, Vereinsamung, Konzentrationsstörungen und Burnout sind der Preis, den Online-Junkies für ihre Exzesse im Cyberspace zahlen.
Ständige Erreichbarkeit im digitalen Kosmos macht uns nicht intelligenter, sondern leerer. Permanentes Multi-Tasking im Daten-Ozean macht uns nicht effektiver, sondern chaotischer. Wer vom Internet profitieren will, braucht Maß und Orientierung. Er braucht einen Kompass, um sicher durch Datenmüll und Infoschrott zu navigieren.
Das Internet mag uns noch so sehr vereinnahmen — der Mensch geht nicht als Cyborg im virtuellen Raum auf. Er bleibt ein analoges Wesen aus Fleisch und Blut. Deshalb muss unser junges Zeitalter eine ganz neue Kulturtechnik entwickeln: die Fähigkeit, den Stecker zu ziehen und zu bekennen: „Ich bin dann mal offline.“