Meinung Der soziale Friede ist wichtiger als die Wortwahl
Natürlich kann es die SPD-Vorsitzende den Ortsvereinen im Essener Norden nicht durchgehen lassen, das Ansehen und den Ruf der Partei zu beschädigen und im Pegida-Stil zu einer Demonstration gegen Flüchtlingsunterkünfte aufzurufen.
Der Ruf der SPD, das haben die Ortsvereine richtig erkannt, ist aber die geringste Sorge der Menschen im Essener Norden. Es geht ihnen um ihre Stadtteile. Um berechtigte Befürchtungen, um eine objektive Ungleichbehandlung innerhalb der Stadt, kurz: Es geht ihnen nicht um Sprachregelungen zur Erhaltung von Ansehen und Ruf, sondern um Sicherheit und Gerechtigkeit.
Beides lässt sich nicht durch das möglichst weich gespülte Reden über Politik herstellen, sondern nur über politisches Handeln. Der unredliche Trick aus früheren Zeiten, die Benenner von Problemen und Herausforderungen als Ausländerfeinde zu beschimpfen, zieht nicht mehr. Schon gar nicht in Stadtteilen, deren Migrantenanteil im Schnitt bei 40 Prozent liegt. Dass es die Menschen dort nicht hinnehmen wollen, dass 70 Prozent aller von der Stadt aufzunehmenden Flüchtlinge bei ihnen untergebracht werden sollen, ist vollkommen verständlich.
Dass die SPD-Ortsvereine sich diese Sorgen zu eigen machen, ist in der Lokalpolitik die einzige Chance, Menschen nicht zu verlieren — und zwar weder an eine allgemeine Politikverdrossenheit noch an rechte Rattenfänger.
Wenn die Fragen der Sprachpflege zur Zufriedenheit der Vorsitzenden geklärt sind, sollte Hannelore Kraft sich ihre örtliche Statthalterin Britta Altenkamp zur Brust nehmen und sie stellvertretend für alle Unterbezirksvorsitzenden der SPD fragen, was sie an der Ansage nicht verstanden hat, dass NRW nicht an der Flüchtlingskrise scheitern wird. Dazu bedarf es keiner Rhetorik, sondern konkreter Politik vor Ort. Und dazu reicht es nicht, zu verkünden, mit wem man nicht in TV-Diskussionen geht, wenn man diesen Kräften vor Ort die Meinungshoheit durch das Abmeiern der eigenen Leute andient.
Unabhängig der Standorte von Notunterkünften werden die meisten in Deutschland bleibenden Flüchtlinge auf Dauer keine Wohnungen in den besseren Vierteln der Städte finden. In benachteiligten Stadtteilen, wohin bereits etliche Migranten früherer Einwanderergenerationen verfrachtet wurden, steht der soziale Friede auf dem Spiel. Er ist bereits fragil. Ihn zu erhalten, sollte eine höhere Priorität als das politisch korrekte Sprechen darüber besitzen.