Meinung Die Chance, wirklich etwas zu tun für den Opferschutz

Meinung · Das neue Soziale Entschädigungsrecht, wie es das Bundeskabinett vorsieht, wird teurer. Auch für die Länder. Aber: Es würde auch viel besser.

Juliane Kinast

Foto: Judith Michaelis

Dass Menschen, die unverschuldet durch die Gewaltausübung anderer gravierende Folgen zu tragen haben, nicht allein gelassen werden dürfen, ist vermutlich konsensfähig. Das Problem: Wenn man mehr Menschen berechtigt, Entschädigungen durch den Staat zu erhalten, und wenn man zudem die Verfahren auf dem Weg zu diesem Recht schneller und einfacher macht, dann wird es für den Staat in jedem Falle teurer. Beim Weißen Ring ist man daher keineswegs sicher, dass der aktuelle Entwurf für ein Soziales Entschädigungsrecht in der kommenden Woche auch so wieder aus dem Bundesrat kommt, wie er hineingeht.

Dass die Kosten indes zweitrangig sein müssen, zeigt ein Blick auf die konkreten Beispiele. Jörg Bora vom Weißen Ring NRW/Westfalen-Lippe erzählt von Augenzeugen der Amokfahrt vor der Gaststätte „Großer Kiepenkerl“ in Münster vergangenes Jahr, die schwer unter den Eindrücken leiden und Behandlung brauchen, aber mit ihrem „Schockschaden“ keinen Anspruch haben, weil das Auto nun einmal physisch andere traf und nicht sie.

Er erzählt auch von Menschen, die als Kinder in der Kirche Missbrauch erlebten und heute in langjährigen Verfahren ohne jegliche Standardisierung zu beweisen versuchen, dass ihre Depressionen nicht existierten, hätte man sie nicht über Jahre gedemütigt und verletzt. Oder von einer Frau, die immer wieder Tierkadaver vor ihrer Tür fand, bis die halbe Nachbarschaft stank, weil ein verschmähter Liebhaber nicht loslassen konnte. Und die nicht mehr zur Arbeit gehen kann, weil sie von Panikattacken heimgesucht wird – doch der Staat kann nicht helfen, weil der Mann bisher leider nicht zugeschlagen hat.

Diese Einzelfälle zeigen eindrücklich, wie groß der Handlungsbedarf ist. Genau wie der Fall Lügde, bei dem die rasche psychologische Hilfe für junge Opfer laut Weißem Ring quasi zufällig erfolgte, weil es spendenfinanzierte Organisationen gab, die sich engagierten. Aber es muss natürlich auch in weniger spektakulären und medienwirksamen Fällen gewährleistet sein, dass ein Gewaltopfer sich nicht mühsam selbst um irgendeine Form von Unterstützung bemühen muss. Dafür braucht es Standards, die mit einem flächendeckenden Netz aus normierten Traumaambulanzen und einem Anspruch auf psychologische Frühintervention geschaffen werden sollen.

Das neue Gesetz wird es nicht zum Nulltarif geben für Bund und Länder. Das liegt auf der Hand. Dennoch tun die Ministerpräsidenten gut daran, bei der Beratung im Bundesrat einen eingehenderen Blick auf diese Einzelfälle zu werfen als auf den eigenen Haushalt. Sie können für viele Menschen wirklich etwas bewegen.