Lieber zwei Geschwindigkeiten als Stillstand

Die Iren zeigen der EU die Rote Karte - und nicht umgekehrt.

Keine Frage, das Nein der Iren ist traurig und ärgerlich. Die Grundrechte-Charta wird nicht verbindlich, das Parlament nicht gestärkt. Der Abstimmungsmodus im Rat bleibt unflexibel und ungerecht. Die Europäische Union erlangt nicht jene politische Handlungsfähigkeit, die ihr angesichts ihrer Wirtschaftskraft zustünde. Zusammengefasst: Die Entscheidung der Iren, die überdurchschnittlich von der EU profitieren, ist kontraproduktiv, ja töricht. Und doch gebührt einem demokratischen Votum Respekt.

Der Vorschlag, das Inselvolk möge doch bitte so lange abstimmen, bis den Regierenden das Ergebnis gefällt, zeugt jedenfalls von einem seltsamen Demokratieverständnis. Einfach mit dem Nizza-Vertrag weiterzuarbeiten, der meist einstimmige Entscheidungen vorsieht und somit viel blockiert, ist auch keine Lösung.

Ein dritter Anlauf, der zu einer komplett neuen EU-Verfassung führt, ist angesichts der Mühen, sich auf den Lissabon-Vertrag zu einigen,wenig wahrscheinlich. Bleibt also nur noch, die Iren freundlich aufzufordern, die EU zu verlassen - wie es Frankreichs Außenminister Kouchner schon vor dem Referendum angedeutet hatte? Das nun ist mit Abstand der dümmste Vorschlag.

Nur zur Erinnerung: Im ersten Anlauf waren es die Franzosen und Niederländer, die Nein zur europäischen Verfassung gesagt hatten. Wer wäre auf die Idee gekommen, die beiden Gründungsmitglieder der Gemeinschaft vor die Tür zu setzen?

Die Lösung kann nur darin bestehen, unverzüglich an einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" zu arbeiten. Ein politisch stärker integriertes "Europa I" könnte schneller und erfolgreicher agieren und so auch jenen nutzen, die zunächst nur einem "Europa II" angehören wollen.

Denkbar wäre sogar ein "Europa III", also ein Kreis von Staaten, die gemäß eines Plans von Kanzlerin Angela Merkel "privilegierte Partner" der EU würden. Dazu könnte die Türkei gehören.

Dass die Idee funktioniert, zeigt das Beispiel des Schengen-Raums ohne Grenzkontrollen, dem Großbritannien und Irland nicht angehören. Auch die Währungsunion funktioniert bestens, ohne dass die Euro-Zone EU-weit gilt. Wichtig ist nur, dass ein "Europa I" kein exklusiver Club wird. Wer die Voraussetzungen erfüllt, muss herzlich willkommen sein - inklusive Irland.