Meinung Wahlversprechungen kurz vor dem Urnengang
Der Wahlkampf treibt schon seltsame Blüten. Auf den letzten Metern packen die Parteien noch einmal ihre Wundertüten aus. Da werden alte Positionen entweder gekippt oder neue verkündet. Und mancher Minister zaubert plötzlich noch ein Konzept für Am Mittwoch will sie verkünden, wie aus ihrer Sicht Trennungsväter künftig rechtlich deutlich besser gestellt werden sollen.
Sicherlich ein wichtiges Thema, gesetzliche Änderungen im Sinne vieler Betroffener scheinen notwendig. Vor allem aber handelt es sich bei Barleys Vorgehen um ein sehr durchschaubares Manöver, mit dem unentschlossene Wähler kurz vor dem Urnengang noch einmal beeindruckt werden sollen. Barley trommelt auch in eigener Sache. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Amt nach der Wahl behalten wird, ist mit oder ohne Väter-Konzept gering.
Im Kern bleibt die Grundfrage: Warum nicht schon viel früher? Das zeigt nur, wie groß die Nervosität der Wahlkämpfer inzwischen ist. Besonders dann, wenn Politiker in Erklärungsnot geraten, neigen sie zum überraschenden Positionswechsel. Beim TV-Duell ist das so gewesen, als Kanzlerkandidat Martin Schulz mit der Ankündigung, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei abbrechen zu wollen, die Haltung seiner Partei über den Haufen geworfen hat — und Kanzlerin Angela Merkel, flexibel wie immer, sich prompt dafür offen zeigte. So ist es auch gewesen, als beide in den Wahlarenen der Fernsehsender auf die Realität getroffen sind. Kaum berichtet ein junger Pfleger über die in der Tat unhaltbaren Zustände in der Pflege, kommt die Kanzlerin mächtig ins Grübeln. Kaum trifft der Herausforderer Betroffene, verspricht er einen „kompletten Neustart“. Steht zwar nicht im Wahlprogramm, aber was soll’s.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Dass das Denken und Handeln von Politikern manchmal ins Wanken gerät durch den Kontakt mit dem Bürger, ist nicht zu kritisieren. Dass man schnell reagieren muss, wenn man mit Sorgen und Nöten konfrontiert wird, auch nicht. Aber leider passiert das allzu oft erst im Wahlkampf. Die Probleme der Pfleger sind seit Jahren bekannt, die Ängste vor kaum mehr bezahlbaren Mieten ebenfalls. Wie vieles andere auch. Die Politik täte gut daran, nicht erst in Wahlkampfzeiten aus dem Berliner Raumschiff auszusteigen, sondern viel häufiger sich den Bürgern zu stellen.