Meinung Was heißt denn schon sozial gerecht?

Mit der sozialen Gerechtigkeit ist es ja so eine Sache: Wohl keine der großen Volksparteien verschwendet heute noch einen Gedanken darauf, dass der Begriff ursprünglich Mitte des 19. Jahrhunderts von einem italienischen Theologen geprägt wurde, wenn sie den Begriff wohlfeil in ihre Wahlprogramme schreiben.

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Entstanden ist er in einer Zeit, die Antworten forderte auf die gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen, die über Europa im Zuge der Industriellen Revolution hereinbrachen und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, historische Vorläuferin der heutigen SPD, sich als kämpferische Anwältin der Arbeiterklasse in Stellung brachte.

Gehörte die Gerechtigkeitsfrage lange zum harten Markenkern der SPD, reklamiert die nach links gerückte Union das Thema längst auch für sich. In der vergangenen Legislaturperiode hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine meisterliche Finesse darin bewiesen, sozialdemokratische Projekte, wie etwa die Durchsetzung des Mindestlohns, den Wählern als eigenen Erfolg zu verkaufen.

Im politischen Kontext inflationär verwendet, ist der Gerechtigkeitsbegriff inzwischen inhaltlich stark verwässert und zum Schlagwort verkommen, bei dem längst nicht mehr klar ist, was eigentlich darunter zu verstehen ist. Dementsprechend schwer tut sich SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, das totgerittene Pferd mit seinem Gerechtigkeitswahlkampf noch einmal zum Leben zu erwecken. Denn den Deutschen geht es so gut wie nie: Die Steuereinnahmen sprudeln, die Reallöhne sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und Deutschland nimmt Kurs auf die Vollbeschäftigung.

Keine Frage — es gibt sie noch, die sozial Abgehängten, die auch vom schönsten Wirtschaftswachstum nicht profitieren und für die Chancengleichheit eine ferne Utopie bleibt. Doch fühlt dieses Klientel seine Interessen kaum noch von der SPD vertreten, die sich im all zu harmonisch dahinplätschernden Wahlkampf nicht gerade mit Profilschärfe hervorgetan hat. Von den Altparteien wendet sich diese Gruppe enttäuscht ab, findet oft gar nicht erst den Weg an die Wahlurne oder wird an den Rändern von AfD oder Linkspartei abgefischt.

Schulz ist es bislang nicht gelungen, der „Weiter-so“-Mentalität der CDU wirklich etwas entgegenzusetzen. Dabei braucht die Parteienlandschaft mehr denn je eine SPD, für die soziale Gerechtigkeit mehr als das Fettgedruckte auf dem Wahlplakat ist.