Buchtipp 1000 Jahre voller Gegensätze

Köln/Pulheim · Wer Köln besucht und dort große christliche Baudenkmäler erleben möchte, denkt sofort an den mächtigen Dom und die berühmten romanischen Kirchen, die jährlich von Zehntausenden Touristen besichtigt werden.

Blick vom Kreuzgang in der Abtei Brauweiler auf die Kirche St. Nikolaus.

Foto: step/Eppinger

Dennoch hat die Region rund um Köln noch weit mehr zu bieten wie zum Beispiel die Abtei Brauweiler, die direkt an der Stadtgrenze zur wichtigen Rheinmetropole liegt.

Diese feiert in diesem Jahr ihr 1000-jähriges Bestehen und blickt auf eine so bewegte wie bewegende Geschichte zurück. Wer die große Anlage im Pulheimer Stadtteil Brauweiler besichtigt, kommt aus dem Staunen kaum noch heraus. Schon die dem hl. Nikolaus geweihte Abteikirche begeistert mit ihrer schier unendlichen Pracht. Dazu kommen die prunkvollen barocken Hauptgebäude des früheren Klosters, während der nur noch in Teilen erhaltene Kreuzgang zu den ältesten Räumen der Abtei führt. Dazu gesellt sich der von Legenden umwobene Maulbeerbaum in der großen Parkanlage, zu der seit diesem Jahr auch ein neuer Küchengarten gehört.

In der neuen Dauerausstellung zeigen sich die Gegensätze

Doch wer vom Kreuzgang abzweigt und die ebenfalls in diesem Jahr eröffnete Dauerausstellung zur Geschichte der Abtei besucht, erkennt schnell, dass es in den vergangenen 1000 Jahren auch erschreckend dunkle Flecken in der Historie dieses eindrucksvollen Ortes gibt. Denn die Abtei wurde, nachdem sie nach der Säkularisation in der Franzosenzeit von den letzten Mönchen verlassen wurde, zu einem „Arbeitslager“, in dem man zunächst Bettler internierte. In der Nazizeit entstanden in Brauweiler ein frühes KZ und ein von der Gestapo betriebenes Gefängnis, in dem brutale Folter an der Tagesordnung war.

Genau auf diese Gegensätze in den vergangenen 1000 Jahren blickt der Kölner Journalist und Autor in seinem im Greven-Verlag erschienenen Buch „1000 Jahre Abtei Brauweiler“. Dazu gehören für ihn die Konflikte und Katastrophen eines Jahrtausends genauso wie die Höhepunkte der Kunst- und Kulturgeschichte, die an diesem Ort ihren Niederschlag fanden.

Der erste kirchliche Bau kann in Brauweiler vermutlich auf die Mitte des achten Jahrhunderts datiert werden. Am 14. April 1024 kamen die ersten Benediktinermönche und begannen mit dem Bau ihrer mächtigen Klosteranlage, die im Laufe der Zeit immer umgebaut und verändert wurde. So erklärt sich auch der Mix der Baustile, der in der 800-jährigen Klosterzeit in Brauweiler von der Romanik bis ins Barock reicht.

Ezzo und Mathilde waren die Namen der adligen Klostergründer, die mit ihrer Stiftung Glauben und Politik, privates Gedenken und öffentliches Bekenntnis unauflösbar miteinander verbanden. So war Brauweiler vom ersten Tag an ein religiöser und politischer Ort, ein Kampfplatz und ein Zankapfel unterschiedlicher Interessen. So stritt das Kloster jahrelang mit dem Kölner Erzbischof Anno II. um seine wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Ein Kapitel im Buch beschäftigt sich auch mit den adligen Frauen, die ihren Platz in einer von Männern dominierten, mittelalterlichen Welt suchten. So setzte sich die exilierte polnische Königin Richeza mit dem Bau einer neuen Abteikirche ein Denkmal, das allerdings nur wenige Jahrzehnte nach ihrem Tod wieder geschleift wurde, um Platz für ein noch prächtigeres Gotteshaus zu machen.

Die Benediktinermönche, die in der mächtigen Abteianlage lebten, beteten und arbeiteten, waren stets auf der Suche nach dem richtigen Weg zu Gott. Dabei stritt ihre Kirche jahrhundertelang erbittert um Glaubensfragen. Auch der Wirtschaftsbetrieb des Klosters machte schwere Zeiten durch und brachte die Mönche und die Abtei zeitweise an den Rand des Bankrotts. So kam die heile Klosterwelt in Brauweiler immer wieder in Wanken und wurde durch Ereignisse wie Kriege oder die Pest in ihren Grundfesten erschüttert.

Das Ende des Klosters kam aber erst im Jahr 1802, als dieses in der Franzosenzeit im Zuge der Säkularisation von den napoleonischen Truppen aufgelöst und in ein „Bettlerdepot§ umgewandelt wurde. Unter den Preußen entstand in der Abtei eine „Arbeitsanstalt“. Dort sollten Bettler, Diebe, „Trunksüchtige“ und „Geisteskranke“ durch Arbeit zu einem besseren Leben finden.

Leiter dieser Anstalt wurde 1815 Hofrath Johann Baptist Ristelhueber, der glaubte, Kriminalität dann effektiv bekämpfen zu können, wenn ihre Ursache, die Armut, beseitigt wird. Nach seiner Amtszeit beginnt eine finstere Zeit in Brauweiler: die „Arbeitsanstalt“ nahm fast industrielle Ausmaße an. Drakonische Maßnahmen wie Prügelstrafen, Maulkörbe und Misshandlungen waren damals an der Tagesordnung. In den 1890er Jahren führte der Tod einer Insassin zum großen Skandal.

Dass noch schlimmer Zustände in Brauweiler möglich sind, zeigten die Nazis nach ihrer Machtübernahme auf eine erschreckende Art und Weise. 1933 wurde auf der ehemaligen Klosteranlage ein erstes KZ eingerichtet, wo vor allem Menschen mit kommunistischer Gesinnung interniert wurden. Die Gestapo nutzte die Anlage als Gefängnis für politische Gefangene, die im sogenannten Zellenbau brutal gefoltert wurden. Zu den Insassen gehörten auch der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer und seine Frau Gussie. An diese grausame Zeit erinnert heute die Gedenkstätte Brauweiler im früheren Frauenhaus.

Direkt nach dem Kriegsende wurde Brauweiler zunächst zu Lager für „Displaced Persons“, wie von den Alliierten die vom NS-Regime verschleppten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen genannt wurden. Im Jahr 1950 wurde in Brauweiler wieder eine „Arbeitsanstalt“ eingerichtet, in die Bettler, Alkoholkranke und Prostituierte eingewiesen wurden. Bis zu ihrem Ende im Jahr 1969 war Brauweiler die einzige verbliebene „Arbeitsanstalt“ in der Bundesrepublik.

Danach wird der Gebäudekomplex in ein Landeskrankenhaus des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) umgewandelt, deren Schwerpunkt als Suchtklinik auf die Behandlung von Alkoholkranken gelegt wurde. Die Zustände im Krankenhaus standen immer wieder in der Kritik und endeten mit einem weiteren großen Skandal, nachdem eine 20-jährige Patientin nach einer Überdosierung verstorben war. So kam es 1978 zur Schließung der Klinik. Nach einer aufwendigen Restaurierung der alten Klosteranlage verwandelte sich die Abtei in den lebendigen Kulturort, den heute die Besucher erleben können.

In seinem eindrucksvollen Buch führt der Autor seine Leser durch diese 1000-jährige Geschichte der Gegensätze und Wendungen. Das Buch ist dabei so gut lesbar wie auch gut recherchiert und lädt Besucher dazu ein, diesen spannenden Kultur- und Geschichtsort vor den Toren Kölns einmal näher kennenzulernen.

Michael Kohler: 1000 Jahre Abtei Brauweiler - Kloster, Gefängnis, Kulturdenkmal, Greven-Verlag, 208 Seiten, 40 Euro