Köln-Krimi Rückkehr in eine Stadt der Ruinen

Köln · „Dieser Sommer, das steht schon mal fest, ist der schönste Sommer meines Lebens. Köln ist die schönste Stadt der Welt. Und ich habe die besten Freunde aller Zeiten. Mehr Glück kann man nicht haben”, schreibt der 17-jährige Joseph Salomon am 15. Juli 1938 in sein Tagebuch.

Das linksrheinische Köln wird im März 1945 von den Truppen der US-Army eingenommen und vom Nazi-Regime befreit.

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Gerade war er mit seinen beiden Freunden Hilda und Jakub auf der Domterrasse verabredet - ein Ort, der für Juden nach der Machtergreifung der Nazis eigentlich tabu ist.

Nur die kluge Hilda, die eigentlich Brunhild heißt, ist nicht jüdischer Abstammung. In sie sind die beiden besten Freunde verliebt und hoffen darauf, dass ihre Liebe erwidert wird. Gemeinsam genießt das Trio seine Stadt und tauscht heimlich vom Regime verbotene Bücher aus. Hildas kleiner Bruder Paul macht das unbeschwerte Zusammensein allerdings etwas komplizierter, weil er seine große Schwester mit niemand teilen möchte.

Nach sieben Jahren kehrt Joe
in seine zerstörte Stadt zurück

Für Joseph wird es der letzte Sommer in seiner geliebten Heimatstadt sein. Nach der „Kristallnacht“ flieht er mit seiner Familie über Ostende und Großbritannien in die USA. Sieben Jahre später kehrt der Kölner Anfang März 1945 als US-Lieutenant Joe Salmon in seine zu mehr als 70 Prozent zerstörte Heimatstadt zurück. Das linksrheinische Köln ist gerade von der US-Army eingenommen worden. Auf der anderen Rheinseite haben sich die „Jerrys“, die Deutschen, verschanzt und greifen alles an, was sich am gegenüberliegenden Ufer bewegt.

Wenige Tag zuvor war ein US-Pilot bei einem der letzten Bombenangriffe auf Köln mit seiner Maschine abgestürzt, konnte sich aber mit dem Fallschirm retten. Gelandet ist der Soldat mitten in der Ruine der Kirche St. Kolumba, wo wie durch ein Wunder nur die Madonna inmitten der trostlosen Trümmerwüste noch intakt geblieben ist.

Zunächst wird dem verletzten Piloten, der direkt vor der Mutter Gottes kniet, geholfen. Kurze Zeit später ist der US-Amerikaner tot. Er wurde von einem Deutschen erschossen. Solche Lynchmorde waren in dieser Zeit kein Einzelfall, weiß der erfahrene Krimiautor Cay Rademacher, der in seinem spannenden historischen Krimi auf das Köln in die Zeit unmittelbar vor dem Kriegsende blickt. Mehr als 1000 solch tödlicher Attacken gab es - meist ausgeführt von SS, Gestapo oder hohen Parteifunktionären, aber auch von ganz normalen Bürgern.

Dabei arbeitet Rademacher auch mit historischen Persönlichkeiten wie späteren Bundeskanzler und langjährigen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer sowie dem Stadtkommandanten Colonel John K. Patterson. Er erteilt Joe den Auftrag, den feigen Mörder von Lieutenant Richard Rohrer zu finden, dessen Leichnam spurlos verschwunden ist. Er will das von Nazis beherrschte Köln „entlausen“ und in der Stadt wieder für demokratische Verhältnisse sorgen.

An die Seite gestellt bekommt Joe Sergeant Federico Gonzales als Fahrer und den britischen Kriegsreporter George Orwell, der seinen später weltberühmten Roman bereits fertiggestellt hat. Während Orwell als weitere historische Figur im vornehmen Excelsior Hotel Ernst untergebracht wird, bekommt Joe das Kinderzimmer in einer Villa in Lindenthal zugewiesen, die dem einstigen Nazi-Bonzen Kurt Freiherr von Schröder gehört, den man mit seiner Familie in den Keller verbannt hat.

Für Joe ist die Begegnung mit seiner einstigen Heimatstadt Köln äußerst schmerzlich. Von ihr sind fast nur noch Ruinen übrig geblieben, die prächtige Oper ist genauso zerstört wie die Altstadt oder die imposanten Häuser rund um den Neumarkt. In den Trümmern hausen die Menschen unter erbärmlichen Bedingungen, doch die Schuld daran suchen viele nicht in ihrer eigenen Geschichte, sondern bei den fremden Besatzern.

Besonders beängstigend wird die Kulisse nachts, wenn Joe der Sperrstunde trotzend durch die winterlich düstere Trümmerlandschaft wandert. Die Ruinen schimmern dann wie bläuliche Gebilde aus Eis. Die grüngelben Markierungen aus Leuchtfarbe an Hauseingängen oder Laternenmasten machen das unwirkliche Szenario noch gruseliger.

Joe sucht nicht nur den Mörder des US-Piloten, sondern auch in der eigenen Vergangenheit in Köln, wo er seine beiden besten Freunde Hilda und Jakub gerne wiedersehen würde. Zunächst taucht aber der kleine Bruder Paul in den Trümmern auf, der dort nach Verwertbarem Ausschau hält. Hilda ist inzwischen mit einem stadtbekannten Arzt Eugen Zander verheiratet, der in Marienburg lebt und der als Zeuge des Lynchmordes ins Visier des Ermittlers gerät.

Bei Jakub gibt es dagegen wohl keine Hoffnung auf ein Wiedersehen. Der Jude aus Krakau ist am Rhein geblieben und hat sich dort als Schwarzhändler für wertvolle Kunstwerke zunächst ziemlich gut über Wasser gehalten. Verstecken konnte er sich in der Villa der ebenfalls historisch belegten Schriftstellerin Irmgard Keun verstecken und so überleben.

Doch er wird denunziert und ins El-De-Haus gebracht, wo sein Weg aller Wahrscheinlichkeit nach in die Todeslager nach Osteuropa geführt hat. Die offiziellen und die privaten Ermittlungen von Joe Salmon führen den US-Soldaten immer wieder zu denselben Personen und bringen ihn und seine Begleiter auch in gefährliche Situationen.

Cay Rademachers historischer Köln-Krimi ist hervorragend recherchiert und höchst spannend geschrieben. Kunstvoll verknüpft der Autor historische Persönlichkeiten mit dem fiktiven Geschehen kurz vor dem Kriegsende in der weitgehend zerstörten Domstadt. Gerne benutzt Rademacher dabei auch umgangssprachliche Begriffe der Zeit wie „Goldfasan“ für Nazi-Größen oder „Glimmstängel“, die amerikanischen Lucky Strike sind nach dem Krieg wertvoller als Bargeld. Sie machen das Jahr 1945 für den Leser regelrecht spürbar, wenn er sich im Jahr 1945 auf eine Zeitreise begibt.

Cay Rademacher: Nacht der Ruinen, Dumont-Verlag, 432 Seiten, 24 Euro