Alles ist erlaubt: Deichkind feiert opulente Nonsens-Party
Die Hamburger Band hat es wieder mal geschafft und die Grenzen zwischen Kunst und Sinnfreiheit mit Karacho eingerissen.
Düsseldorf. Wenn Madonna sich mal wieder von halbnackten Tänzern umringt ans Kreuz hängen lässt oder Rammstein mit Pyrotechnik zündeln, dann können Deichkind nur lachen: Verglichen mit ihrer Show in der Halle an der Siegburger Straße sind die Konzerte der Superstars Kaffeekränzchen mit Hintergrundmusik. Deichkind bitten einmal mehr zur opulenten Nonsens-Party: „Komm auf einen Trip mit mir, oh, ich hab’ die Tickets hier.“ Die Menge folgt ihnen wie die Ratten dem Rattenfänger.
Beim Deichkind-Konzert gibt es seit jeher nur eine Regel: Alles ist erlaubt. Die Fans haben sich grelle Schminke ins Gesicht geklatscht und die Handgelenke mit Leuchtarmbändchen behängt. Sie tragen Warnwesten oder Mülltüten oder einfach Klebestreifen auf nackter Haut. Und sie wedeln mit Klobürsten und schmeißen Klopapierrollen.
Ehe es losgeht mit der Show zur „Befehl von ganz unten“-Tour tanzen sie sich warm zu Techno-Videos, die über den Bühnenvorhang laufen — und rasten aus, als der zur Seite geht und Deichkind im Stroboskop-Gewitter loslegen: Mit Leuchtdioden behängt und ihren mittlerweile zum Markenzeichen gewordenen, blinkenden Pyramiden-Hütchen auf den Kopf rennen Sebastian „Porky“ Dürre, Ferris MC, Philipp Grütering und DJ Phono durch eine Kulisse aus sich ständig verschiebenden Stelen und machen einen auf Rummelplatz am Ballermann. Sie sperren die Welt aus und feiern mit dem Vorschlaghammer aus Breakbeats und Elektroclash die anarchische Spaßgesellschaft, die sich einen Dreck um Konventionen und Etikette schert.
Die Sex Pistols waren früher. Deichkind haben ihn, den Soundtrack der Revolution im Hier und Jetzt: Bei „Illegale Fans“ — ihrer Hommage an die Internetsüchtigen, die sich hemmungslos ihre Lieblingsmusik herunterladen — stürmt die Band mit Sturmhauben und „Occupy“-Masken auf die Bühne und lässt die Fans grölen: „Wir sind keine Einzeltäter! Mann, wie sind die Massen!“ Für „Egolution“ krönt sie sich selbst zu Königen. Und dann haben sie jüngst ja auch noch die Hymne des modernen Nihilismus, der alle Werte verleugnet, geschrieben: Ich tu’ was ich will und auf Kosten anderer, denn es ist — Verzeihung dafür! — „leider geil“.
Als es nach knapp zwei Stunden Auf und Ab, Pogo- und Zappeltanz auf die Zielgerade geht, ist das Publikum längst am „Limit“, darf und will aber noch nicht nach Hause gehen: Deichkind rollen erstmal im riesigen Holzfass in den Zuschauerraum hinein. Sie verwirren mit dem schmalzigen „The Power Of Love“ von Frankie Goes To Hollywood, das plötzlich wie aus einem anderen Universum kommend durch die Boxen dröhnt — und nutzen diese Pause doch nur, um die Druckbetankungsanlage zu installieren, durch deren Schläuche kurz darauf Wodka in die Fan-Hälse der ersten Reihe fließt.
Und dann kommt natürlich noch „Yippie Yippie Yeah! Remmidemmi“. Es reißt endgültig alle Barrieren zwischen Kunst und Sinnfreiheit ein: Statisten schleudern an Seilen durch die Luft. Und Hüpfburgen stehen auf der Bühne, von wo aus sie im Konfettiregen gemeinsam mit den in Schlauchbooten rudernden Musikern hinaus aufs Meer der Zuschauerhände fahren. Deichkind haben es mal wieder geschafft: Mensch, war das geschmacklos. Aber: Was für eine Party!