Neue Obdachlosenunterkunft in Düsseldorf „Die meisten sind richtige Spießer“
Düsseldorf · Mehr als 50 Obdachlose mit Drogenproblemen leben mittlerweile in einer neuen Unterkunft in Oberbilk. Es ist friedlicher als gedacht, sagen Sozialarbeiter. Die Sucht bleibt, doch die Bewohner können zur Ruhe kommen – und ziemlich spießige Pläne schmieden.
Knöpfchen prüft im Handspiegel noch mal ihr Make-up und ihre Frisur. Sie hat sich die Haare an diesem Morgen zu einem Dutt gebunden, die Augen sorgfältig geschminkt. Dann ist sie in das Zelt unter der Brücke geklettert und hat Crack geraucht.
Die junge Frau in Schlaghose und Sportjacke nennt sich Knöpfchen, viele kennen sie nur unter diesem Spitznamen, und der passt erstaunlich gut. In einem anderen Leben wäre sie wohl der Lieblingsgast auf jeder Party, laut und lustig. Und selbst in diesem Leben, das sich oft mit Drogen unter der Brücke anspielt, ist sie das irgendwie. Knöpfchen fällt auf, mit den Tattoos an Hals und Schläfe, den Piercings im Mund, mit ihrer quirligen und fröhlichen Art. Seit drei Jahren lebt sie auf der Straße, hatte zuletzt in einer Bauruine übernachtet. Um Crack zu rauchen, kam sie immer wieder unter die Unterführung an der Werdener Straße.
Dort rollen an diesem Dienstag die Bagger an, um auch dieses Camp aus Zelten und Müll zu räumen. Lange diente das „Grand Central“-Gelände, eine riesige Baugrube in Bahnhofsnähe, als Treffpunkt für Obdachlose und Drogenabhängige. Als die Stadt die Brache im November räumte, zogen viele Bewohner weiter, unter die Brücke an der Werdener Straße. Der Standort galt auch zuvor schon als Treffpunkt und innerhalb weniger Tage standen dort neue Verschläge.
Dieser Elendsaufenthalt solle nun ein Ende haben, sagt Streetworker Oliver Ongaro. Die Obdachlosenhilfen Fiftyfifty und Axept haben die städtische Räumung begleitet und vorher mit den Leuten gesprochen. Aber Knöpfchen hat das „voll vergessen“, sagt sie und zeigt auf ein Zelt, zusammengezimmert aus Bauzäunen und Planen. Da drin sind auch noch zwei Männer, sagt sie. Eigentlich waren bis auf Knöpfchen schon alle raus, sie müssen sich von hinten wieder ins Zelt geschlichen haben. Vielleicht wollten sie noch ihre Sachen holen, bevor die Awista die Müllberge wegbaggert.
Fast alle, die die Unterführung an diesem Vormittag verlassen, gehen mit den Streetworkern auf die andere Straßenseite, zur Moskauer Straße. In den grünen Containerbauten lebten bis vor kurzem noch Flüchtlinge, nun sind es Obdachlose mit Drogenproblemen. Die Stadt hatte die Unterkunft im März für genau diese Menschen geöffnet, die ansonsten durch jedes Raster fallen. Die meisten sind Männer, die meisten sind cracksüchtig. Thomas Tackenberg von Axept verteilt Lunchpakete mit Trinkpäckchen, Bananen und Brötchen. Die Männer essen noch vor der Tür alles auf.
Eigentlich wollte man langsam anfangen und sich herantasten, so mit 15 Leuten, sagt Oliver Targas, Sozialarbeiter bei der Diakonie. Doch schon in den ersten Tagen kamen mehr, mittlerweile leben über 50 Menschen in den Räumen. Auch, weil es gut laufe. Es sei friedlicher als gedacht und die meisten Bewohner hielten sich an die Regeln.
Zugangsvoraussetzung ist
ein Tuberkulosetest
Alle müssen sich einmal mit ihrem Namen registrieren und einen Tuberkulosetest machen. Ansonsten gibt es keine Zugangsvoraussetzungen. Beim Verlassen der Unterkunft müssen die Bewohner die Schlüssel fürs Zimmer abgeben. Damit die nicht verschwinden und damit die Sicherheitsleute und Sozialarbeiter wissen, wenn sich jemand länger nicht meldet. Dann kontrollieren sie die Zimmer.
Knöpfchen lebt schon seit fast einem Monat in der Unterkunft, sie war eine der ersten, die eingezogen sind. In ihr Zimmer lässt die 33-Jährige an diesem Tag niemanden hinein. Sie hatte dort eine Boxerei, sagt sie, die Schränke seien umgekippt, überall liege Kram rum. „Wo ich bin, ist halt das Chaos“, sagt sie. Aber sie hat ein Zimmer für sich ganz allein, mit Schlüssel und Kochplatte, sie kann sich waschen und schminken, sie hat ein Bett mit zwei Matratzen. Ungewohnt nach drei Jahren auf einer Isomatte im Zelt, sagt sie, so weich. Andere Bewohner schlafen auf dem Boden, ihnen ist das Bett noch zu fremd.
Knöpfchen kann sich nun vorstellen, eine Entgiftung zu machen. Und sie möchte irgendwann wieder arbeiten, sie ist gelernte Malerin und Lackiererin, mit Gesellenbrief. Doch wer auf der Straße lebt, hat keine Meldeadresse, die es für einen Job braucht. Und wer auf der Straße lebt, weiß meist nicht, wo er die Nacht verbringen wird und ob am nächsten Morgen noch alle Sachen da sind. „Ich hätte nie gewusst, ob ich am nächsten Tag zur Arbeit gehen kann“, sagt Knöpfchen. Jetzt kann sie etwas zur Ruhe kommen, sich sortieren. „Ich hab‘ das Gefühl, wieder voranzukommen“, sagt sie.
Die Träume der Bewohner ähneln sich. „Die meisten sind eigentlich richtige Spießer“, sagt Sozialarbeiter Thomas Tackenberg. „Die wünschen sich einfach Arbeit, Haus, Kind und Hund.“ Hier haben sie wenigstens ein kleines Zimmer. Noch weit vom Ziel entfernt, und doch ein wenig näher dran.
Die Sucht verschwindet hier nicht, sie bleibt. „Aber es kehrt Ruhe ein“, sagt Oliver Targas. Offiziell dürfen die Bewohner in der Unterkunft keine Drogen nehmen. Viele sind tagsüber unterwegs, um sich Stoff zu besorgen und zu konsumieren, es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Auch was auf den Zimmern passiert, lässt sich nicht verhindern. Doch der sozialpsychiatrische Dienst und die Drogenhilfe bieten Beratungen an, ein Arzt vom Gesundheitsamt versorgt Wunden in einem Behandlungszimmer.
Auf einem Stuhl im Flur davor sitzt ein junger Mann. Er hat schon vor einigen Tagen ein Zimmer in der Unterkunft bezogen. Heute offenbart seine kurze Hose erstmals die offenen Wunden an seinen Beinen. Eine typische Folge von Durchblutungsstörung durch die Drogen. Mittlerweile, sagt Thomas Tackenberg, rieche er schon, wenn jemand verletzt sei. Der Arzt wird die Wunden verbinden.
Einige, die unter der Brücke an der Werdener Straße hausten, wollten nicht mitkommen. Damit hat er gerechnet, sagt Thomas Tackenberg. „Man wird nie alle erreichen.“ Sie haben Angst vor Behörden, Angst davor, verhaftet oder abgeschoben zu werden. Sie sind weitergezogen, wer weiß wohin.
Knöpfchen hat einen Einkaufswagen mit Tüten gefüllt und schiebt ihn über das Gelände zum Ausgang. Sie hat offenbar angefangen, ihr Zimmer aufzuräumen.