Premiere von Amphytrion Begegnung mit dem Antihelden

In „Amphitryon“ verwebt Regisseurin Milena Michalek die Verse von Kleist mit ihrer eigenen modernen Sprache. Claudius Steffens spielt den Antihelden aus der griechischen Mythologie.

Claudius Steffens und Fnot Taddese, die die Alkmene spielt.

Foto: Thomas Rabsch

Als Amphitryon in Kleists gleichnamigem Stück kehrt der Schauspieler Claudius Steffens nach Theben zurück, in jene Stadt, in der er schon der unselige Held Ödipus war. Diese zwei tragenden Rollen aus der griechischen Mythologie füllt er in dieser Saison am Schauspielhaus aus. Das ist nicht ganz zufällig. Steffens sucht intensiv nach Stoffen und Regieteams, die ihn inspirieren. Um besser auswählen zu können, wo eine Zusammenarbeit Sinn macht, hat er die Anzahl der Produktionen, in denen er spielt, reduziert.

Er ist ein zugewandter Schauspieler, der sich viele Gedanken über seine Rollen macht. Und der sich freut, wenn ein Regisseur, eine Regisseurin dies teilt und ebenfalls in der Tiefe schürft. So eine sei Milena Michalek, berichtet Steffens. Er bewundere, dass sie bei den Proben zu ihrer ersten Düsseldorfer Inszenierung nicht schnell auf Ergebnisse gedrungen habe. „Milena gestattet uns, bis kurz vor der Premiere die Sprache von Kleist zu erforschen und uns mit seinen Figuren auseinanderzusetzen. Die Möglichkeit des Hinterfragens, welche Ansprüche man dabei an sich selber stellt, ist wertvoll. Die schonungslose Suche, das Hadern und das Nichtwissen – davor habe ich Respekt, das elektrisiert mich.“ Das Stück sei eine Gruppenarbeit, fügt er hinzu: „Ich spiele zwar die Titelrolle, bin aber nicht die Hauptfigur des Abends.“

Ist Amphitryon ein Held, wenn auch nicht ein so tragischer wie Ödipus? „Er wäre gern ein Held, doch das gelingt ihm nicht“, erklärt Steffens: „Bei Kleist wird er sofort demontiert, alles geht schief.“ Man müsse sich das einmal vorstellen: Nach siegreicher Schlacht sehnt sich Amphitryon nach seiner Heimatstadt Theben und seiner geliebten Alkmene. Ohne zu ahnen, dass sich am Vorabend bereits Gott Jupiter in Amphitryons Gestalt mit der Schönen vergnügt hat. „Ein kompletter Fehlstart“, sagt Steffens: „Der große Heldeneinzug und die beste Liebesnacht seines Lebens haben bereits stattgefunden. Am Ende steht er da wie ein Hochstapler und wird verunglimpft.“ Steckt Amphitryon das irgendwann weg? „Nee! Er verzweifelt daran. Wir nutzen die Sprache und Poesie von Kleist für den Absprung in unsere Realität.“

Seit 2021 gehört
Steffens zum Ensemble

Die Fassung der Regisseurin und Autorin beschäftigt sich stark mit der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität: Wer bin ich? Wie authentisch bin ich? Sehe ich mich so, wie die anderen mich sehen? Die Verse des Dichters werden mit der modernen Sprache von Michalek verbunden. „Der erste Teil enthält viel Kleist“, erklärt Steffens, „im zweiten dröselt sich das auf und wird immer verrückter. Kleist ist eine super Vorlage für Bearbeitungen, weil er selber so zerrissen ist und in seine, nennen wir es: Denksuppe, unwahrscheinliche dramaturgische Stränge einbaut.“ Amphitryon habe ihn als Figur erst gar nicht sonderlich interessiert, räumt Steffens ein: „Tollpatsche wie der Diener Sosias oder Chaosfiguren wie Jupiter finde ich erst mal reizvoller. Aber jetzt habe ich mich reingeschraubt in diesen Antihelden. Er ist spannender als gedacht.“

Seit 2021 gehört Steffens zum Ensemble. Es kostete einige Überredungskunst, ihn fest ans Haus zu binden. Zuvor hatte er zwei Jahre lang die Vorzüge eines freien Schauspielerdaseins genossen. Warum die Rückkehr ins Festengagement? „Bestimmt nicht wegen der Sicherheit“, antwortet er: „Ich bin sehr kritisch gegenüber Routinen, Bräsigkeit und institutionellen Abhängigkeiten, brauche eine gewisse Freiheit, um kreativ arbeiten zu können.“ Momentan genieße er es aber, Teil eines festen künstlerischen Teams zu sein: „Das Tolle ist, dass man sich kennt und vertraut. Ich kann mich fallenlassen und werde von einem Netz getragen. Ich muss nichts erklären, nichts beweisen und darf auch unbequem sein.“

Oft kamen ihm gewisse Einsichten erst mit der Zeit oder brauchten zumindest einen Schubs. Aufgewachsen in Berlin-Pankow im Osten der Stadt, hatte Claudius Steffens früh eine Affinität zum Theater. Dennoch traute er sich erst nicht, den Weg eines Schauspielers einzuschlagen: „Getreu einer in der DDR begründeten Tradition hatte ich das Gefühl, du musst erst ein Handwerk lernen, um Künstler zu werden.“ Also studierte er Theatertechnik und lernte in diesem Ingenieurberuf alles über Seilzüge und Hubbühnen. Bis es bei einem Praktikum am Gorki-Theater zu einem Schlüsselerlebnis kam. Im Nebel sollte er auf offener Bühne ein Hexenhaus aufstellen: „Das gelang mir nicht, es wurde hell, der Nebel war weg und ich immer noch da. Daraus musste ich etwas machen und improvisieren.“

Die große Schauspielerin Ursula Werner hatte ihn beobachtet und riet ihm zu einer Schauspielerausbildung. Sofort nahm ihn die Ernst-Busch-Schule auf – ein Privileg. Doch selbst da war er noch skeptisch und fragte nach, ob er erst sein Studium beenden und in drei Jahren wiederkommen könne. Unverständnis bei der Leitung: „Die zeigten mir den Vogel.“ Er ließ sich überzeugen, studierte, machte seinen Abschluss und bekam ein Theaterengagement. Die Ernst Busch sei auch deshalb so berühmt, weil sie nicht nur nach bestimmten Typen schiele: „Die klopfen ab, was dahintersteckt und schulen ihre Leute auch im
Denken.“