Buch von Katharina Mayer und Hubert Ostendorf über Wohnungslosigkeit in Düsseldorf Was das Leben auf der Straße lehrt

Düsseldorf · Der Bildband „Zuhause ist mehr als ein Ort“ handelt vom Leben auf der Straße und der Kraft der Kunst. Ein Buch, das demütig macht.

Der Künstler Krickel Krakel in einem Abrisshaus, fotografiert für ein Wohnungslosen-Projekt.

Foto: Katharina Mayer

Kunst ist manchmal Notwehr. Von Menschen, die sich aus der Not heraus ihrer Lebenssituation erwehren. Gegen Trauer, Wut, Einsamkeit anmalen. Oder sich von Katharina Mayer fotografieren lassen. Ästhetisch sind diese Bilder – fotografiert oder gemalt, aber vor allem sind sie schonungslos.

„Zuhause ist mehr als ein Ort“ haben Katharina Mayer und Hubert Ostendorf, Geschäftsführer von Fiftyfifty, den Band mit Bildern und Texten genannt, der jetzt schon in zweiter Auflage erscheint. Er fasst auf 253 Seiten Tragödien der Straße zusammen, zeigt Projekte auf, die die Not lindern, wirft Fragen auf und erzählt Geschichten von Armut und Leid, von Mut und Stärke.

„Für Hubert Ostendorf und mich ist das Buch ein Resultat unserer langjährigen, kongenialen Zusammenarbeit und Freundschaft. Und das Tolle ist: Es geht weiter!“, sagt Mayer, die in Düsseldorf lebt und an der University of Europe for Applied Science in Berlin lehrt.

Der Sammelband holt ein gern ausgeblendetes Thema in den Fokus. Ingrid Bachér denkt im Vorwort über einen Obdachlosen nach, der auf der Straße mitten auf dem Gehweg schläft. „Ja, er will sichtbar sein, und das ist richtig so, denn gehört ihm, dem Bürger, nicht auch der Bürgersteig? Und er ist doch ein Bürger – wie alle anderen.“ Der Streetworker Oliver Ongaro schreibt darüber, wie Wohnungslosigkeit in die Medien kommt. Wo ist die Grenze zwischen Berichterstattung über die dreckige Realität der Straße und Voyeurismus? Da sind Beiträge von der Künstlerin Susanne Ristow, von der Kunsthistorikerin Gabriele Uelsberg und von Mayer selbst, die den Bogen schlagen von der Obdachlosigkeit zur Kunst.

Da sind die Artikel von Hubert Ostendorf, die Geschichten von Menschen erzählen, von gnadenlosen Schicksalsschlägen, vom begnadeten Maler Krickel Krakel, von der todkranken Rahela, von Maria aus Rumänien, von Erika, die ihre drogensüchtige Enkelin nicht im Stich lässt. Über seine Texte sagt Mayer: „Ich finde es großartig, in diesem Band zum ersten Mal die sehr eindrücklichen Texte von Hubert Ostendorf aus etlichen Magazinen der letzten Jahre gesammelt enthalten sind. Man spürt darin seine ganze Empathie und Nähe zu dem Projekt, das er vor bald 30 Jahren ins Leben gerufen hat.“

Da sind die Texte und Zitate der Wohnungslosen, der ehemals Wohnungslosen und der „Fiftyfifty“-Verkäuferinnen und Verkäufer, die vom Glück erzählen, einen Hund zu haben, von den Projekten „Housing First“ und „Straßenleben“. Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, haben hier eine Stimme. Wie etwa „Rudi vom Dreieck“: „Ich bin ‚Fiftyfifty’-Verkäufer der ersten Stunde. Ich bin stolz darauf, dass ich meine Alkoholsucht überwunden habe. Am Anfang haben mir manche Passanten gesagt: ,Geh doch arbeiten.‘ Das sagt nun kaum noch jemand.“

Da sind die Fotos von Katharina Mayer: Porträts von Menschen, die frontal in die Kamera schauen, ihre Betrachter ansehen, deren Gesichter von ihren Schicksalsschlägen erzählen, deren Augen Scham, Skepsis, Trotz und Hoffnung spiegeln. In einer anderen Serie hat die Becher-Schülerin Mayer in einem Langzeitprojekt Bewohner von „Housing First“ in deren eigenen vier Wänden fotografiert.

Ein muskulöser Mann im Star-Wars-T-Shirt sitzt auf seinem Bett. Die Decke trägt gelbe Sterne und Monde vor blauem Grund. Die Wand ist tapeziert mit Plakaten von Fortuna, Autos, einem Box-Wettkampf und Kino-Filmen wie „Dark Knight“. Eine Fortuna-Quietscheente steht auf einem Tisch, ein Foto auf der Anrichte.

Und dann ist da noch die „Akademie der Straße“. Kunstprofessorin Mayer hat sie mit Obdachlosen gegründet. Die Kunst hilft hier, zu verarbeiten, das eigene Schicksal anzunehmen. „Kunst ist Leben. Bilder sind meine Seele“, hat der inzwischen verstorbene Ralf Mihm, Schüler der Straßenakademie, gesagt. Wie in einem Ausstellungskatalog sind dort Arbeiten von Künstlern der Straße zu sehen: die mit Scheckkarten und Kämmen gespachtelten Bilder eines Krickel Krakel, die Karikaturen von Mario Fois, die Mandalas von Karin Hirsch, die farbenfrohe Abstraktion von Markus Schmied. Allesamt Teilnehmer der Akademie. Erstaunliches, Kraftvolles und Positives bringen die Künstler zu Papier. „Rohe Kunst“ nennt es Katharina Mayer.

(saja)