Ratingen: Ein Buch soll Türen öffnen
Mit großem Aufwand geht das Jugendamt ab Januar auf junge Eltern zu. Es begrüßt Neugeborene, liefert Informationen und bietet Hilfe an.
Ratingen. Wenn Eltern es zum ersten Mal mit einem Sozialarbeiter des Jugendamtes zu tun bekommen, dann heißt das meistens nichts Gutes: Dann hat ihr Kind die Schule geschwänzt, oder es randaliert und prügelt, vielleicht wirkt es sogar verwahrlost. Im nächsten Jahr soll das anders werden. Wenn dann nämlich der Sozialarbeiter vor der Tür steht, will er oft einfach nur Hallo sagen, seine Hilfe anbieten - und einen Ordner überreichen mit 144 Seiten nützlicher Informationen für junge Eltern.
Gestern stellte die Stadt dieses "Elternbegleitbuch" vor. Der stattliche Ordner mit den Großdruck-Texten und den naiv-fröhlichen Illustrationen stellt dabei weit mehr dar, als eine zu groß geratene Broschüre. Er steht für einen neuen Umgang der Stadt mit ihren Kindern.
Er soll Probleme lösen helfen, ehe sie zur Katastrophe werden. Das könnte langfristig sogar Geld sparen, hofft die Verwaltung. Vorsorge ist schließlich effektiver als Hilfe im Notfall. "Aber zum Glück ist das nicht als Kostendämpfungsstrategie angelegt", sagt Jugendamtsleiterin Christa Seher-Schneid.
Offensichtlich, denn die Stadt lässt sich die Prävention einiges kosten. Allein um fünf Mitarbeiter wird der Bezirksdienst des Jugendamtes aufgestockt. Sie sollen engere Kontakte zu den Eltern knüpfen. In Zukunft erhalten alle Eltern nach der Geburt eines Kindes ein Glückwunschschreiben des Bürgermeisters in dem auch gleich ein Besuch des Jugendamts angekündigt wird.
Dieser ist nicht verpflichtend, doch nur die wenigsten werden ihn ausschlagen, schätzt Seher-Schneid. In Dormagen, das mit einem ähnlichen Projekt das Vorbild für Ratingen war, lehnten nur drei Prozent der Eltern die Hilfe ab.
Das Dormagener Elternbegleitbuch "Willkommen im Leben" stand auch bei der Konzeption des Ratinger Buches Pate. "Wie schön, dass Du geboren bist", heißt das nun im Untertitel. Und es ist besser geworden als die Vorlage, finden die Beteiligten.
Konsequent vermittelt es in allen Kapiteln vor allem die Freude über den Zuwachs. Der Zeigefinger wird kaum erhoben. Dafür wird aufgelistet und beschrieben, was Eltern wirtschaftlich helfen kann - vom Kindergeld über die Möbelkammer bis zur Schuldnerberatung. Wer in der Stadt zuständig ist, dass die Kinder gesund groß werden, bildet ebenso ein Kapitel, wie die vielen Beratungsangebote, die Eltern gemacht werden.
Wer weiß denn schon, dass es in der Umgebung mehrere Schreiambulanzen gibt, die zermürbten Eltern mit dauer-plärrenden Babys helfen? Die Kindertagesstätten sind ebenso aufgelistet wie die Freizeitangebote. Dazu gibt es die wichtigsten Anträge und ein Kapitel für Migranten zum Thema mehrsprachige Erziehung und Staatsangehörigkeit. Die wichtigsten Inhalte sind dann auch gleich auf türkisch und russisch zusammen gefasst. 28 Prozent der Ratinger Neugeborenen kommen schließlich aus Migranten-Familien.
Als kleines Bonbon sind die Gutscheine gedacht: Zwei Mal Babyschwimmen, zwei Mal Kindertheater in "Lux" und "Manege" oder ein dreimonatiger Leseausweis fürs Medienzentrum.
"Wir hoffen, dass wir das Bild des Jugendamtes verändern können", sagt die Jugendamtsleiterin. Und sie ist zuversichtlich, dass es auch gelingt: "Die Eltern sind schon offener geworden, immer mehr kommen von sich aus auf uns zu." Das äußert sich zwar auch im explodierenden Etat für die Erziehungshilfen. Der neue Ansatz sieht etwa sieben Millionen Euro vor.