Sturm zerstörte Horst an der Niers Helfer bauen dem Storch ein neues Nest
Grefrath · 2023 stürzte ein von einem Storchenpaar an der Niers selbst gebautes Nest bei einem Sturm ab. Jetzt gibt es Ersatz.
„Das hat Gewicht.“ Die Bemerkung von Tom Breuksch bezieht sich auf das runde Stahlgerüst, das der ehrenamtliche Naturschutzwächter gerade zusammen mit Herbert Ulke aus dem Fahrzeug auf eine Hubkarre hievt. „Das sind rund 30 Kilogramm“, sagt Ulke. Bei der Konstruktion handelt es sich um ein Storchennest mit einem Durchmesser von 1,20 Meter sowie einem höheren Rand, der komplett mit Weide umflochten ist. „Heimische Weide, die ich bei meinen Spaziergängen an der Niers zwischen Oedt und Süchteln gesammelt und in die Stahlkonstruktion eingeflochten habe“, sagt Ulke. Der Süchtelner, der den Fritzbruch wie seine Westentasche kennt, weil er dort jeden Tag spazieren geht, hat federführend ein besonderes Projekt angestoßen und sich mit viel Herzblut eingebracht: Am Oedter Fritzbruch wird in einer gemeinschaftlichen Aktion engagierter Bürger und der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises Viersen ein künstliches Storchennest installiert – und das mit Hilfe von Baumkletterern. Denn die Stelle ist anders nicht zu erreichen. Angefangen hatte alles 2022, als Ulke sah, dass ein Storchenpaar auf einer der toten Pappeln an der Niers ein Nest gebaut hatte und dort tatsächlich Nachwuchs kam. Etwas, das unter anderem auch Breuksch und weiteren Spaziergängerinnen wie Hildegard Eichenhauer und Simone Jarosch auffiel. Als Naturliebhaber freuten sie sich darüber und ließen die Tiere in Frieden. Auch im vergangenen Jahr nutzte das Storchenpaar den Platz erneut. Doch es kam zu einem Zwischenfall: Der vom Storchenpaar gebaute Horst stürzte ab – und mit ihm zwei Jungvögel. „Das muss vom 15. auf den 16. Mai passiert sein“, sagt Jarosch, die durch den plötzlich fehlenden Horst auf die Suche ging und die toten, noch nicht komplett befiederten Jungvögel fand. Nicht nur sie wandte sich an die Gemeinde, den Nabu und die Untere Naturschutzbehörde. Etliche Bürger riefen an. Daraus entstand letztlich eine Gruppe, die sich zusammen mit der Unteren Naturschutzbehörde dafür einsetzte, einen künstlichen Horst an dieser Stelle zu installieren. Gemeinsam ging man das nicht einfache Projekt an. „Die Pappel steht mitten in einem Feuchtgebiet, und mit schwerem Gerät ist dort nicht hinzukommen. Da würde zu viel Natur zerstört werden“, sagt Mario Snellen von der Unteren Naturschutzbehörde. Während sich Ulke um die Beschaffung des Nestes kümmerte, lief zeitgleich die Suche nach einem Baumkletterer, der sich in der Lage sah, das künstliche Nest auf der 16 Meter hohen Pappel zu installieren. Ulke wurde über ein Kleinanzeigenportal im Internet in Niedersachsen fündig und bestellte die Stahlkonstruktion. Die Naturschutzbehörde fand indes das Garten- und Landschaftsbauunternehmen Karmanns aus Lobberich, das sich auf Baumpflege und Fällungen spezialisiert hat. Leo Karmanns und sein Sohn Matthias sind beide auch Baumkletterer.
Gigantische Baumpilze
wachsen am Stamm der Pappel
Vor Ort ist das Nest inzwischen mit der Hubkarre an die Pappel herangefahren worden. Dazu haben die Karmanns ihr Material und das Befestigungsmaterial des Nestes in Form von Winkeln unterschiedlicher Art sowie Schrauben und Akkubohrer in zwei Schubkarren vorgefahren. „Das Frostwetter ist ideal. Normalerweise würden wir hier sonst tief im Morast stecken“, sagt Snellen. Kaum hat sich das Vater-Sohn-Gespann mit Klettergeschirr und Helm ausgerüstet, geht es zur Pappel. Leo Karmanns, der zusätzlich Steigeisen trägt, ist derjenige, der mit der Kettensäge nach oben steigen wird. „Die Pappel, die einst abgebrochen ist, muss oben eine gerade Fläche erhalten, damit das Nest angebracht werden kann“, erläutert Matthias Karmanns, während sein Vater die Hauptsicherung und die beiden Kurzsicherungen am Baum anbringt und mit dem Aufstieg beginnt. „An einem gesunden Baum würde wir nicht mit Steigeisen arbeiten, weil wir damit die Rinde verletzen könnten. An dem toten Baum macht das nichts“, sagt Matthias Karmanns.
Der Aufstieg ist kein einfaches Unterfangen, denn gigantische Baumpilze wachsen am Stamm der Pappel und machen es teilweise schwer, die Sicherung anzubringen. Ab und zu muss Leo Karmanns daher schon zur Kettensäge greifen und einen besonders dicken Baumpilz absägen. Stück für Stück geht es gesichert hoch. Dann die negative Nachricht von oben: Die Pappel ist im oberen Bereich so morsch, dass das Kunstnest dort nicht angebracht werden kann. Eine kurze Beratung, dann fällt der Entschluss, den Baum bis zum stabilen Holz zu kürzen. Leo Karmanns macht sich, gut gesichert, an die Arbeit. Rund vier Meter sind es, die fallen. Ein hochgereckter Daumen zeigt, dass es nun möglich ist. Der Baumkletterer gibt die Baummaße nach unten durch, denn Ulke und Breuksch müssen wissen, wo die Halterungen entsprechend an dem Stahlkorb angebracht werden müssen. Während Leo Karmanns mit dem Maßband hantiert, wird am Boden mit Zollstock und Akkubohrschrauber gearbeitet. Schließlich ist alles montiert, und über die von Leo Karmanns im Baum angebrachte Umlenk-Rolle geht die verzinkte Stahlkonstruktion nach oben, wo sie installiert und das Altnistmaterial noch mit eingebracht wird.
Abstieg für den Fachmann und Erleichterung bei allen, dass das künstliche Nest sitzt. „Jetzt müssen wir nur abwarten, ob die Störche ihr neues Nest auch annehmen“, sagt Snellen.