Neersen „Mademoiselle Chanel“ setzt einen Glanzpunkt
Inez Timmer begeistert bei den Schlossfestspielen mit einem musikalischen Abend über eine Stil-Ikone.
Neersen. Um kurz nach acht Uhr betritt Mademoiselle den Ratssaal. In der Hand die unvermeidliche Zigarette, auf dem Kopf ein schlicht-eleganter Hut, um den Hals die Perlenkette. Und schon legt sie los mit der Begutachtung der Kleidung der überwiegend weiblichen Gäste: Ein „très jolie“ hier, ein „schwarz und weiß geht immer“ dort — die Mode-Ikone Coco Chanel ist ganz in ihrem Element. Auch, als sie mit gnadenloser Konsequenz eine Dame, deren Jäckchen an den Schultern schlecht sitzt, von diesem unpassenden Kleidungsstück befreit.
Schon in dieser kleinen Spielszene zu Beginn, in die das Publikum gleich eingebunden wird, gelingt es Inez Timmer mühelos, in die Rolle von „Mademoiselle Chanel“ zu schlüpfen. Vielleicht stärker noch als im Vorjahr, als sie als Lale Andersen bei den Schlossfestspielen begeisterte, wird die Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin eins mit ihrer Rolle. „Ich mache keine Mode. Ich bin die Mode“, soll Coco Chanel über sich gesagt haben. Im Falle von Inez Timmer gilt: An diesem Abend im Schloss Neersen spielt sie nicht Coco Chanel. Sie ist Coco Chanel.
Das Leben der im Armenhaus geborenen und im Waisenhaus aufgewachsenen Frau, die ein bis heute existierendes Weltimperium schuf, zeichnet Timmer mit all seinen Höhen und Tiefen nach. Da sind die ersten Erfolge als Hutmacherin und als Modeschöpferin. Da ist ihr Geniestreich, das Korsett und unnötige Verzierungen zu verbannen und statt dessen eine schlichte, funktionelle Damenmode zu erschaffen. Das „kleine Schwarze“, wadenlange Röcke oder gar luftige Hosen und ein Kurzhaarschnitt — das trugen die selbstbewussten, modernen Frauen der 1920er Jahre. Dazu gehörte natürlich Chanel Nº 5 — es gilt bis heute als das meistverkaufte Parfüm der Welt.
„La vie en rose“, also ein Leben in Rosa, war es aber nicht immer, wie Inez Timmer ebenso zeigt. Denn es gab auch die dunklen Seiten der Coco Chanel. Sehnsucht nach Anerkennung, unglückliche Liebesbeziehungen, Einsamkeit und Skrupellosigkeit gehörten dazu. Mademoiselle Chanel kollaborierte mit den Nazis, sie mochte keine Juden — und vor dem Hunger der armen Leute im Paris der 1940er Jahre verschloss sie die Augen.
Ebenso fesselnd wie bewegend erzählt Inez Timmer von dem selbstbestimmten Leben einer faszinierenden Frau. Unterlegt wird das mit der jeweils passenden Musik, die vom Chanson über den Zarah-Leander-Klassiker „Davon geht die Welt nicht unter“ bis hin zu „I’m still standing“ von Elton John reicht. „Non, je ne regrette rien“ („Nein, ich bereue nichts“) schmettert Coco/Timmer am Ende selbstbewusst. Ihr Kommen bereuen mussten auch die Besucher im Ratssaal nicht: „Mademoiselle Chanel“ setzt einen Glanzpunkt in den Extras der Festspiele. Schade, dass es nur ein einmaliges Gastspiel war.