Neersen/ Pogromnacht: Schlussstrich ist nicht möglich

Die Stadt Willich erinnerte an die Judenverfolgung. Gastrednerin war Katrin Himmler.

Neersen. Ist es nach 70 Jahren Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen? Sind die dunkeln Schatten, die das Dritte Reich auch noch auf die jüngere deutsche Geschichte wirft, bewältigt?

Eine Frau, deren Familienname eng mit der Nazizeit verbunden ist, gab bei der Gedenkstunde im Schloss Neersen zur Pogromnacht Antworten auf diese Fragen: Katrin Himmler, Großnichte des "Reichsführeres SS" Heinrich Himmler, einem der Hauptverantwortlichen für die Judenmorde, war dazu von der Kreis-Volkshochschule eingeladen worden.

Die Nazizeit hat sie, die mehr als 20 Jahre nach dem Selbstmord ihres Großonkels zur Welt kam, nicht erlebt. Wohl aber den Umgang ihrer Familie mit der Vergangenheit. In ihrem Buch "Die Brüder Himmler" rechnet sie schonungslos mit der Geschichte ihrer Familie in der Nazizeit, mehr aber noch danach, ab.

Beim Gedenken an die "Reichskristallnacht", wie die Nazis das Pogrom wegen der vielen zerbrochenen Fensterscheiben beschönigend nannten, sprach Katrin Himmler weniger über ihre Familie, als über den Umgang vieler Deutschen mit ihrer Vergangenheit und dem Antisemitismus.

Bürgermeister Josef Heyes hatte zunächst die Gäste im vollen Ratssaal begrüßt - darunter wenige Personen, die noch keine 30Jahre alt sind. "Die Verbrechen vor 70Jahren haben der deutschen Geschichte nicht nur bis heute geschadet, sondern das Ansehen Deutschlands nachhaltig beschmutzt", erklärte Heyes.

Eine Feststellung, die Katrin Himmler ebenfalls traf. Sie beleuchtete die Täter, die mit dem Pogrom angefangen hätten, die letzte Scham vergessen zu lassen: Die Judenmorde in großem Stil begannen wenig später. Und sie beleuchtete die Vorgeschichte des Tages, dessen schleichende Anfänge es im 19. Jahrhundert gegeben habe.

Katrin Himmler gab zu bedenken, dass nicht nur die Täter diesen schwarzen Fleck der deutschen Geschichte zu verantworten hätten. Auch all die, die sich in Passivität und Gleichgültigkeit übten, zählten zu denen, die Verantwortung tragen - auch heute. Nur wenige hätten unter hohem persönlichen Risiko den potenziellen Opfern geholfen.

Katrin Himmler räumte mit der "Ich-habe-nichts-gewusst"-Mentalität auf. Denn sie stellte die Frage nach dem Wohlstand der Deutschen im Dritten Reich, den sich auch heute nur wenige eingestehen wollten. Ein Wohlstand, der sich auf dem Geld der enteigneten jüdischer Mitbewohner begründete.

Rezepte dazu, wie man mit der Geschichte umgehen kann, lieferte Katrin Himmler nicht. Wohl aber richtete sie den Aufruf an die heutige Jugend, diese dunklen Jahre nicht zu verdrängen, da die Vergangenheit eben nicht bewältigt sei: "Einen Schlussstrich kann man nicht ziehen."