Neuss: Torquato Tasso im Wechselbad der Gefühle
Goethes Werk im Landestheater.
Neuss. Die Existenz des Künstlers, die Zerrissenheit zwischen Freigeist und gesellschaftlicher Konvention, die Kluft zwischen Kreativität und Vernunft: Das brachte schon Goethe um seinen Schlaf, woraus sich mit Torquato Tasso der Stoff für eines der bedeutendstes Dramen der Weltliteratur entwickelte. Im Rheinischen Landestheater feierte das gewaltige Versdrama unter der Regie von Dominik Günther im modernen Gewand Premiere.
Viel passiert hier absichtlich nicht. Im Raum steht allein die Frage: Wo bleibt der Genius Tasso von heute, wo sich künstlerische Emanzipation in Quoten auflöst? Goethe wählte für als Szenerie ein Lustschloss in Ferrara im 16. Jahrhundert.
Dort übergibt der große Dichter Tasso seinem Mäzen Herzog Alphons ein Epos, entzückt damit die Prinzessin Eleonore d’Este und die Gräfin Eleonore Sanvitale und reißt sie dazu hin, ihn mit dem Lorbeerkranz krönen zu wollen.
Der Macher und Politiker Antonio Montecatino platzt in die Idylle, belächelt den Künstler, holt ihn auf den Boden der Realität gesellschaftlicher Zwänge zurück. Ein geschlagener Tasso beugt sich am Ende willenlos seinem Schicksal, verloren ist sein Arkadien.
Mit kräftigem, viel versprechendem Augenzwinkern nimmt diese künstlerische Selbstbetrachtung bei Dominik Günther ihren Lauf. Angefacht vom motivierenden Muntermacher-Song "Jede Zelle meines Körpers ist glücklich" lässt er Tasso (Felix Lampert) sein Arkadien in Form einer riesigen Discokugel über die Bühne rollen. Eine schwere Last, in der sich tausendfach das überzogene Ich des Genius glitzernd spiegelt, streng durch ein Tribünengeländer getrennt.
Hermann Große-Berg mimt den Herzog als hohlen Showman im Glitter-Anzug, Hergart Engert agiert als lüstern züngelnde Figur, degradiert den Künstler zum willenlosen Vortänzer. Tini Prüfert ist eine quirlige Gräfin Sanvitale, die die Dinge unbekümmert nimmt, wie sie sind.
Tasso ist ein Muskelprotz mit mehr Schein als Sein, ein Muskelshirt mit seinem Logo dient ihm als Lorbeerkranz. Felix Lampert kann hier nicht überzeugen, seine Stärke verliert sich in einem dahin plätschernden Wechselbad der Gefühle, mal dem Wahnsinn nahe, im nächsten Moment wie ein beleidigtes Kind hinter seiner Zauberkugel verkrochen.
Die schmerzhafte Sehnsucht des Künstlers nach Grenzüberschreitung wird nicht wirklich spürbar. Spannung kommt lediglich auf, als der in feuerrot gehüllte berechnende Pragmatiker Antonio Montecatino (Raik Singer) den Boden unter den Füßen zu verlieren droht und schließlich den Dialog mit dem entzauberten Künstler zu einem vermeintlich guten Ende führt.
Ein zäher Theaterabend, wo auch eine noch so große Kugel nichts zum Rollen gebracht hätte, selbst die ungeheure Energie der Sprache auf der Strecke blieb.