Vom Schwarzmarkt ins Fachgeschäft Neuss will Cannabis-Modellprojekt

Neuss · Der kontrollierte Umgang mit Cannabis ist seit 2024 geregelt, doch in Neuss wollen Experten noch weiter gehen: Ein Modellprojekt zur sicheren und legalen Abgabe von Cannabis soll Gelegenheitskonsumenten vom Schwarzmarkt wegführen – und wissenschaftliche Erkenntnisse liefern.

Wissenschaftliche Einrichtungen und Unternehmen können nun Anträge bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung einreichen, um in Sachen Konsumcannabis zu forschen.

Foto: dpa/Daniel Karmann

Nach einem langen Ringen war es 2024 schließlich soweit: Der Bundestag verabschiedete die Regelungen zum kontrollierten Umgang mit Cannabis – kurz Cannabisgesetz (CanG). Damit wurde der private Eigenanbau durch Erwachsene zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau von Cannabis in Anbauvereinigungen legalisiert. Doch während sich Kritiker und Befürworter nach wie vor über die Auswirkungen dieser Legalisierung streiten, hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) bereits die nächste Verordnung erlassen.

Noch im Dezember des vergangenen Jahres unterzeichnete Landwirtschaftsminister Cem Özdemir die sogenannte Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeitsverordnung. Diese ermöglicht die Forschung an und mit Cannabis zu Genusszwecken – und zwar nicht nur für Hochschulen. Auch Unternehmen und Kommunen können ab sofort Forschungsanträge stellen. So startete zum Beispiel die Stadt Hannover in Kooperation mit der Sanity Group GmbH und der Stadt Frankfurt das erste Modellprojekt, welches eine kontrollierte Abgabe von Cannabis in bis zu drei Verkaufsstellen im Stadtgebiet und unter wissenschaftlicher Begleitung vorsieht. Es folgten weitere Absichtserklärungen aus Städten wie Berlin und Wiesbaden, dem Kreis Groß-Gerau – und bald aus Neuss.

Andreas Alberts (v.l.), Alexander Lajios, Antonio Ferraro, Geschäftsführer der „Weeders“, sowie Vu Nguyen und Giovanni Ferraro vom CSC Neuss suchen nach Unterstützung, um das Cannabis-Modellprojekt umsetzen zu können.

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„Wir haben festgestellt, dass es verschiedene Zielgruppen gibt, die durch das Cannabisgesetz nicht abgedeckt werden“, sagt Sozialarbeiter Alexander Lajios, der unter anderem Präventionsschulungen anbietet. Auf diesem Weg hat er die Präventionsbeauftragten des „Cannabis Social Clubs“ (CSC) Neuss sowie den Neusser Biologen und Betäubungsmittelexperten Andreas Alberts kennengelernt. Bei einem ersten Treffen des CSC diskutierten sie über jene Neusser und Neusserinnen, die in unregelmäßigen Abständen geringe Mengen erwerben – die Gelegenheitskonsumenten.

Denn diese Zahl sei gar nicht mal gering: Im Epidemiologischen Suchtsurvey, in welchem unter anderem der Konsum von Drogen in der Allgemeinbevölkerung Deutschlands erfasst wird, gaben rund neun Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 64 Jahren an, Cannabis in den letzten zwölf Monaten konsumiert zu haben.

Gelegenheitskonsumenten-Zahl
sei gar nicht gering

In den letzten 30 Tagen waren es rund vier Prozent. Geht man davon aus, dass die Konsumhäufigkeit in Neuss dem bundesweiten Durchschnitt entspricht, ergibt sich eine Zahl von rund 8700 Menschen, die einmal im Jahr Cannabis konsumieren und rund 4200, die einmal im Monat zum Gras greifen. Und die Dunkelziffer sei noch viel größer.

„Aber wenn ich nur fünf Gramm Cannabis in einem halben Jahr konsumieren möchte, züchte ich keine eigenen Pflanzen oder werde Mitglied in einem Social-Club“, so Lajios mit Blick auf die Beiträge. Ihnen bleibt Alberts zufolge deshalb nur die Möglichkeit, das Cannabis illegal – auf dem Schwarzmarkt oder durch Dritte – zu erwerben. Dem möchte die Gruppe mit dem Modellprojekt vorbeugen und damit nicht nur valide Zahlen erhalten, sondern auch einen Beitrag zum Gesundheitsschutz leisten. Denn nicht selten werde auf dem Schwarzmarkt gestrecktes oder verunreinigtes Cannabis angeboten. In einem Fachgeschäft stünden diesen Konsumenten stattdessen kontrollierte Cannabisprodukte und eine Beratung zur Verfügung – und zwar legal.

Doch um den Antrag für ein solches Modellprojekt zu realisieren, müssen zunächst gewisse Bedingungen erfüllt sein: „Unter anderem brauchen wir eine Hochschule an unserer Seite, welche das Projekt wissenschaftlich begleitet“, so Alberts. Wie viele Menschen nutzen das Angebot? Wie verändert sich der Konsum der Teilnehmer und Teilnehmerinnen oder welche Grenzen im Straßenverkehr angesichts der Auswirkungen sind sinnvoll? Diese und weitere Fragen könnten zum Beispiel untersucht werden. Und auch mit Blick auf die Substanzen seien strenge Vorgaben zu beachten. Dafür suchen sie aktuell nach einem Hersteller von medizinalem Cannabis. „Die Substanzen müssen nämlich gewissen Qualitätsstandards unterliegen“, ergänzt der Biologe.

Eine Abgabe des Cannabis durch den CSC Neuss ist dementsprechend nicht erlaubt und auch nicht vorgesehen. Stattdessen wurde ein separates Unternehmen – eine weitere Bedingung für die Antragstellung – gegründet: „The Weeders“. Dieses mache eine Kooperation mit der Stadt Neuss theoretisch überflüssig – nichtsdestotrotz wollen die Beteiligten das Gespräch zur Kommune suchen und sie von dem Projekt überzeugen.

Angesichts der bevorstehenden Neuwahlen und der Ankündigung der CDU, die Legalisierung von Cannabis rückgängig zu machen, wollen die Experten und das Unternehmen so schnell wie möglich einen Antrag stellen. Erfüllt dieser die rechtlichen Anforderungen und auch die allgemein üblichen Anforderungen an wissenschaftliche Forschungsprojekte, steht einem Modellprojekt mit einer Lauffrist von fünf Jahren vonseiten des Bundes nichts mehr im Wege.