Kultur Freundschaft in Zeiten des Krieges: Ein multimediales Poetry Project in Wuppertal

Wuppertal · Heiner Bontrups multimediales Poetry Project mit Kindern und Jugendlichen, die aus der Ukraine flüchten mussten im Theater am Engelsgarten.

Um „Freundschaft in den Zeiten des Krieges“ geht es in Heiner Bontrups Projekt, das am Samstag ukrainische Kindern und Jugendliche im Theater am Engelsgarten aufgeführt haben.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Dass es bitter schmerzt, Freunde zu verlieren, weil Erwachsene Krieg führen, erleben Kinder und Jugendliche, die vor dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine mit ihren Angehörigen flüchten mussten. Trauer darüber, mit Freundinnen und Freunden auseinandergerissen worden zu sein, brachten Sie jetzt auf Initiative der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft im „Poetry Project Freundschaft in Zeiten des Krieges“ unter Leitung von Heiner Bontrup auch auf die Bühne des Theaters am Engelsgarten.

Mucksmäuschenstill war es, im Theatersaal, herrschte äußerste Konzentration. Gedanken und Gedichte, die die Jugendlichen im Projekt unter Leitung von Heiner Bontrup entwickelt und vertextet hatten, wurden in szenischen Darstellungen rezitiert. Auch Heikus, japanische dreizeilige Kurzgedichte, waren im Rahmen des Literaturprojektes entstanden. Sie wurden auf eine Leinwand im Bühnenhintergrund projiziert, während auf der Bühne marschiert, rezitiert, gesungen und gespielt wurde. So entstand eine Textcollage, an der Heiner Bontrup ein Jahr lang mit den Jugendlichen gearbeitet hatte.

Hajo Jahn, der Vorsitzende der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft begrüßte die Gäste und stellte mit dem Titel des vergangenen Forums „Ich will in das Grenzenlose“ den Bezug zum Grenzen überwindenden Charakter von Freundschaft her. Freundschaft können grenzenlos sein, postulierte Hajo Jahn und merkte an, dass Kinder die Ungefragten seien, wenn Kriege ausgetragen werden.

Die eindrucksvolle Stimme Bernd Kuschmanns, Schauspieler, Synchronsprecher und Rezitator thematisierte im Prolog und während des szenischen Spiels mehrfach mit Zitaten aus der Tragödie Antigone von Sophokles: „Zahlreich ist das Ungeheure, nichts ungeheurer als der Mensch“ den Wahnsinn des Krieges.

Der verzweifelte Wunsch
„Ich will nach Hause!“

Performance-Künstlerin Marie Sophie Müller intonierte in engelhaft anmutender Kostümierung auf der „Himmelsleiter“ das zauberhafte Schlaflied „Guten Abend, gute Nacht“ und akzentuierte besonders die Zeile „… schau im Traum `s Paradies“. Das hatten die Jugendlichen, so wurde in ihren Texten deutlich, durch den Kriegsausbruch und die Flucht verloren. Ihre Texte handelten vom ersten Kennenlernen, als Schulklassen sich zum ersten Mal zusammenfanden, von der Freundschaft zweier sechsjähriger Mädchen, für die die zwei Kilometer, die zwischen den Elternhäusern lagen, seinerzeit eine unüberwindliche Entfernung war. „Was sind demgegenüber heute 2000 Kilometer?“, fragte die junge Autorin und evozierte heiße Sommer, in denen sich die Kinder unbeschwert am Fluss Dnjepr zum Baden trafen. Sie erinnert feinsinnig die gemeinsamen Naturerlebnisse, schließt mit dem verzweifelten Wunsch „Ich will nach Hause!“

Das Szenario, in dem Texte vorgetragen wurden, mutete surreal an: Eine imposante Treppenleiter, eine Bank aus der Werkstatt von Reiner Eindorf, die wie ein Pranger anmutete, Kutschenlaternen. Die Bank bot den jungen Rezitatoren das Podest, auf das sie kletterten, um ihren Botschaften Gehör zu verschaffen. Viele der Texte wurden teilweise in Deutsch und Ukrainisch vorgetragen. Sie handelten von der Rolle, die Freundinnen und Freunde im Leben der jungen Geflüchteten spielten, als sie noch eine gemeinsame unbeschwerte Zeit in ihrer Heimat verlebten. Gemeinsame Unternehmungen, inniger Austausch, bewahrte Geheimnisse, bedingungsloses Vertrauen, verzeihen können … die Facetten von Freundschaft, die die Jugendlichen, die die Else-Lasker-Schüler-Gesamtschule besuchen, in ihren Texten anklingen ließen, sind vielfältig.

„Sie wird immer einen Platz in meinem Herzen haben“, „...sie war meine beste Freundin, meine Mentorin, meine Unterstützerin … ihre Augen können ihre Farben ändern… unsere Begegnung war etwas ganz Besonderes, etwas Kostbares…“ gewährten die Jugendlichen den Gästen streiflichtartig Einblick in ihr Innerstes.

Einzeln kletterten die jungen Autorinnen und Autoren auf die Bank, aufgefordert von Anne-Sophie Müller, die ebenfalls Nachdenkliches zur Zerrissenheit der Jugendlichen vortrug: „Heute noch nebeneinander gesessen, morgen schon die Namen vergessen“ war nur eine der bitter-gereimten Kriegs- und Trennungserfahrungen. Mit ihrer ausgebildeten Opernstimme brillierte die 17-jährige Tetiana Symonchuk mit auf Ukrainisch gesungenen, wehmütig klingenden Botschaften.

Die Rahmenszene zeigte sechs Jugendliche, die auf Sitzkissen scheinbar intensiv in die Buchlektüre vertieft waren. Ganz bei sich, die Außenwelt aussperrend, getrennt nach Jungen und Mädchen. Die scheinbare Kontemplation trog, denn ein Akteur sprang auf und warf wütend die mit Büchern beladene Schubkarre um: Die Metapher schien seine Verzweiflung darüber auszudrücken, dass Wissen und Bildung nicht vor den schlimmen Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen schützen. Die Jugendlichen formierten sich wie auf ein unsichtbares Zeichen hin zu einer „Armee“ und marschierten im soldatischen Gleichschritt, begleitet von Rhythmen, die sie den zu Kriegstrommeln umfunktionierten Kochtöpfern entlockten.

Musikalisch wurde die Performance durch den Komponisten Alexander Manotskov gestaltet, Pianist war Vadym Shvydkiy. Antje Supprian und Heiner Bontrup führten Regie, und für das Bühnenbild und die Projektionen zeichneten Katharina Mayer und Heiner Bontrup verantwortlich.