Castor-Proteste: Hase- und Igel-Spiele im Wendland

Die Castor-Auseinandersetzungen sind überholte Rituale

Wahrscheinlich ist der Vergleich moralisch angreifbar: Die Castor-Auseinandersetzungen erinnern ein wenig an den köstlichen 90er-Jahre-Film „Und ewig grüßt das Murmeltier“, in dem ein Wetterfrosch alptraumhaft immer wieder den selben Tag durchlebt. Bei den Botschaften von der Bahnstrecke nach Gorleben glaubt man ebenfalls, alles in zwei Jahrzehnten schon mal gehört zu haben. Demonstranten versuchen den Transport zu stoppen, machen Sitzblockaden, einige ketten sich an Schienen fest oder graben den Schotter darunter weg. Die Polizei hingegen versucht, die Strecke zu räumen, ohne dass es zur Eskalation kommt. Was ihr nicht immer gelingt. Übertriebene Härte wird ihr deshalb vorgeworfen. Die Beamten hingegen klagen, auch die Demonstranten würden immer gewalttätiger.

Bei diesen ritualisierten Auseinandersetzungen sind dieses Jahr nur wenige Aspekte neu. So dauert die Reise so lange wie vorher noch nie. Was bedeutet, dass auch die Einsatzkosten der Sicherheitskräfte einen Rekord erreichen werden. Gewachsen ist sicherlich auch die Sympathie großer Teile der Bevölkerung für den Protest, zumindest so lange er friedlich bleibt. Denn kein anderes Land in der Welt steht so unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima wie Deutschland — selbst japanische Atomkraftgegner reiben sich ob des rigorosen Ausstiegs hierzulande die Augen. Ganz besonders irritiert es, dass Industrie und Politik auf die Frage der sicheren Endlagerung radioaktiver Brennelemente weiterhin keine überzeugende Antwort haben.

Gerade angesichts solcher Ängste ist es verständlich, wenn Bürger protestieren und demonstrieren. Wie weit Blockaden und sogar Gefährdungen von Transporten durch demokratische und gesetzliche Regeln legitimiert sind, muss je nach Einzelfall entschieden werden. Tätliche Angriffe auf Polizisten haben mit freier Meinungsäußerung nichts zu tun. Sie sind schlicht kriminell. Ebenso muss die Frage erlaubt sein, ob die Einsatzkräfte immer die Verhältnismäßigkeit wahren.

Unsere Gesellschaft sollte reif genug sein, den Konflikt nicht mehr ritualisiert mit Hase- und Igel-Spielen im Wendland auszutragen. Ist der rein verbale Austausch von Argumenten wirklich so altmodisch, dass man ihn nicht noch mal wagen könnte?