Der Zwang zur Ehelosigkeit muss fallen
Schon 1970 zweifelte Joseph Ratzinger den Zölibat an
Papst Benedikt war als junger Joseph Ratzinger ein fortschrittlicher Theologe. Beim legendären II. Vatikanischen Konzil drängte er als Berater von Kardinal Frings auf Reformen und Transparenz in der Kurie. Und jetzt taucht ein Memorandum von 1970 auf, in dem er mit Karl Lehmann und Walter Kasper den Zölibat in Frage stellte. Leider ist von solchem Reformeifer nicht viel geblieben. Und deshalb sollte niemand glauben, Rom werde nun bald tatsächlich den Zwang zur Ehelosigkeit aufheben. Der Zölibat ist noch zu sehr ein deutsches und europäisches Aufregethema, um in der Weltkirche voll durchzuschlagen.
Der über 40 Jahre alte Appell zeigt gleichwohl, wie hartnäckig der Vatikan ein drängendes Problem aussitzt: den — nicht zuletzt vom Zölibat verursachten — Priestermangel. Der nimmt vor allem in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern mittlerweile groteske Züge an. In Düsseldorf zum Beispiel müssen sich heute zum Teil sieben, acht früher eigenständige Kirchengemeinden einen (!) Pfarrer teilen, weil es so sehr an Nachwuchs fehlt.
Theologisch ist der Zölibat nicht gottgegeben, kein elftes Gebot. Sondern eine kirchenrechtliche Regel, die erst 1139 eingeführt wurde und somit auch wieder abgeschafft werden kann. Wohlgemerkt: als freiwillige Lebensform ist gegen den Zölibat für Geistliche nichts zu sagen, im Gegenteil. Es ist auch richtig, wenn eine Kirche ihre Tradition hochhält und sich nicht permanent dem Zeitgeist anpasst. Doch wenn Verteidiger des Dogmas behaupten, der Zölibat verhindere, dass aus Geistlichen ganz „normale“ Glaubensfunktionäre werden, dann ist das Gegenteil richtig: Der eklatante Priestermangel zwingt die immer wenigeren und immer älteren Pfarrer in die Rolle von gehetzten Funktionären, die für substanzielle Seelsorge und Verkündigung keine Zeit und Kraft mehr haben.
Klar ist jedoch auch: Weder die Aufhebung des Zölibats noch eine Zulassung von Frauen zum Priesteramt würden alle Probleme der Kirche lösen. Deren größtes ist der fortgesetzte Bedeutungs- und Mitgliederverlust in der Bevölkerung. Da genügt ein Blick auf die evangelische Kirche, die ohne Zölibat und mit Pastorinnen unter noch höheren Austrittszahlen und noch leereren Kirchenbänken leidet.