Meinung Dokument einer Wunde
Die Staatsanwaltschaft Krefeld ist davon überzeugt, dass Hartmut Hopp ins Gefängnis gehört. Dort hätte der frühere Sektenarzt, verurteilt wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen, auch bis zum vergangenen Jahr gesessen, wenn er sich nicht 2011 durch die Flucht nach Deutschland den chilenischen Behörden entzogen hätte.
Erst Ende Dezember hat der chilenische Oberste Gerichtshof die deutschen „Colonia Dignidad“-Angeklagten Kurt Schnellenkamp, Gerhard Mücke und Karl van den Berg sowie zwei Ex-Geheimagenten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu fünf Jahren Haft verurteilt. In Chile ist die juristische Aufarbeitung damit vorerst abgeschlossen. In Deutschland hat sie nie wirklich stattgefunden.
Dass der 72-jährige Hopp nun, wo ihm möglicherweise in Deutschland die Verbüßung einer fünfjährigen chilenischen Haftstrafe droht, erstmals seit seiner Flucht mit Journalisten sprechen will, wäre kein Grund, seinen teils schwer erträglichen und keineswegs besonders glaubwürdigen Ausführungen zwei Seiten Platz in unserer Zeitung einzuräumen.
Was der mutmaßliche Helfershelfer des Sektengründer Paul Schäfer zu sagen hat, ist nicht die Wahrheit, sondern Teil seiner Verteidigungs-Strategie. Für die Opfer der Sekte sind Hopps Aussagen sicher eine Zumutung, sie sind aber in erster Linie die historische Dokumentation einer Wunde. Die in Hopps Aussagen enthaltenen Be- und Entschuldigungen zeigen, wie wenig die Geschichte der „Colonia Dignidad“ trotz einer Bundestags-Anhörung und eines Kinofilms aufgearbeitet und wie weit sie davon entfernt ist, abgeschlossen zu sein.
Folter, Vergewaltigung, Mord, Menschenrechtsverletzungen — solche Zivilisationsbrüche und ihren ideologischen Nährboden, den religiöser Eifer und sektiererischer Wahn tränkten, würden wir gern für Markenzeichen des Islamismus halten. Die „Colonia Dignidad“ lehrt: wir irren uns.