Köhler lässt sich nicht instrumentalisieren
Geschichtsvergessenheit ist ein Phänomen, das in immer kürzeren Abständen zu Tage tritt. Schon einmal - vor genau fünf Jahren - wurde Horst Köhlers Wahl zum Bundespräsidenten fälschlicherweise als Fanal für eine schwarz-gelbe Regierungsmehrheit gedeutet.
Bekommen haben wir bekanntlich die Große Koalition. Wenn Union und FDP die Wiederwahl Köhlers nun erneut als Zeitzeichen werten, mag das legitim sein - es ist aber nicht besonders klug. Natürlich ist die Wiederwahl Köhlers eine willkommene Selbstvergewisserung für Angela Merkel und Guido Westerwelle. Die Wahlentscheidungen der Bundesbürger aber koppeln sich bekanntlich immer stärker von der Eigenwahrnehmung der Parteien ab. Nicht einmal die Europawahl in zwei Wochen wird schon ernsthafte Hinweise auf den Wahlausgang am 27. September geben.
So begeistert Union und FDP von Köhlers Wiederwahl sind, so zufrieden kann die SPD sein. Trotz der Enttäuschung über das frühe Ausscheiden Gesine Schwans aus dem Rennen - und wegen der peinlichen protokollarischen Pannen - hat die ungeliebte Kandidatin noch ein achtbares Ergebnis erhalten. Ihre absehbare Niederlage erspart der SPD zudem eine Rotfront-Kampagne. Die hätte der Partei bei der Bundestagswahl strategisch mehr geschadet als ihr eine Bundespräsidentin Schwan genützt hätte.
Bei allen parteipolitischen Vereinnahmungen hat sich die Kampfabstimmung um den Bundespräsidenten zum Glück als Persönlichkeitswahl herausgestellt. Das ist vor allem ein Verdienst der Grünen, die offenbar mit einer Reihe von Enthaltungen Schwans kalkulierte Missdeutung der DDR-Geschichte quittiert haben. Und es ist ein Verdienst der Grünen Abgeordneten Silke Stokar, die den Mut hat, sich zu ihrer für den ersten Wahlgang wohl entscheidenden Stimme für Köhler zu bekennen.
Und der Präsident? Er hat mit seiner zweiten Amtszeit die Freiheit gewonnen, sich noch konsequenter als Bürgerpräsident zu profilieren. Horst Köhler sollte dabei der Versuchung widerstehen, eine größere Distanz zur politischen Klasse aufzubauen. Als Präsident der Krise sollte er den Bürgern ebenso Mut machen wie unpopuläre Wahrheiten über die Grenzen staatlicher Macht zumuten - die ihnen die Parteien zur Zeit verweigern.