Meinung Warum Europa eine Mitschuld hat am Drama im Mittelmeer

Meinung · Wo waren all die Fürsprecher der privaten Seenotrettung, als die EU ihre eigene Mission eingestellt hat? Die jetzige Situation ist eine seit Jahren nicht enden wollende Dokumentation europäischen Versagens.

Carola Rackete (M), deutsche Kapitänin der Sea-Watch 3, steigt nach ihrer Ankunft im Hafen von Porto Empedocle in ein Polizeiauto steigt.

Foto: dpa/Pasquale Claudio Montana Lampo

Es scheint, als hätten Heldinnen gerade Konjunktur. Eine schwedische Schülerin gegen den menschengemachten Klimawandel. Eine deutsche Kapitänin gegen die menschenverachtende Migrationspolitik. Herausragende Einzeltaten als kollektive Erlösungshoffnung aus dem Jammertal realpolitischer Handlungsunfähigkeit und -unwilligkeit.

Aber ehe sich eine zu wohlige Gewissheit einnistet, dass in diesem von allen Seiten zugespitzten Seenotrettungsdrama die Rolle des Bösen natürlich allein Italien zusteht, ein kleiner Test: einfach mal bei Google die Stichwörter „Italien“, „Europa“, „Flüchtlinge“ und „im Stich gelassen“ eingeben. Das Ergebnis ist eine seit Jahren nicht enden wollende Dokumentation europäischen Versagens.

Ein Kommentar von Ekkehard Rüger.

Foto: ja/Sergej Lepke

Dass in Rom jetzt Rassisten und Europaverächter wie der Rechtspopulist Matteo Salvini das Sagen haben, dafür trägt die EU eine Mitverantwortung – weil sie es in all den Jahren nicht geschafft hat, die Unwucht der Lastenverteilung in der Flüchtlingsfrage zu lindern. Und wo waren eigentlich all die Fürsprecher der privaten Seenotrettung, als die EU ihre eigene Mission eingestellt hat? Das Dilemma zwischen der Rettung von Menschen und dem Schleuserkalkül damit wurde auf nichtstaatliche Organisationen abgewälzt, derweil Europa darauf setzt, dass Ertrinkende, die niemand mehr wahrnimmt, auch niemanden aufregen.

Stattdessen erhält Italien jetzt ungefragt Rechtsbelehrungen im Dutzend – als gäbe es in dem EU-Land keinen Rechtsstaat mit funktionierender Gewaltenteilung mehr. Dass die Sea Watch in Italien anlegen darf, hatte in der vergangenen Woche übrigens kein juristischer Lakai der italienischen Regierung abgelehnt – sondern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.