Meinung Siehe da, die SPD wagt einen echten Neustart
Sigmar Gabriel ist raus. Der 58-Jährige, noch Außenminister und früher Chef der SPD, gehört nicht mehr zu den Topleuten des deutschen Politikbetriebs. Manche bedauern das. So viele Talente habe die SPD nicht, als dass sie auf das größte verzichten könnten, heißt es.
Es stimmt: Gabriel überzeugt mit seiner Rhetorik, ist bestens informiert, wandlungsfähig und bei Bedarf sehr emotional. Was Gabriel aber sicher nicht zu bieten hat, ist Teamfähigkeit. Nicht wenige Führungskräfte in der SPD beschreiben den Mann aus Goslar als rücksichtslos, sprunghaft und illoyal. Wo Gabriel Chef ist, profiliert er sich auf Kosten anderer. Und wo er Macht und Einfluss zu verlieren droht, agiert Gabriel unter der Gürtellinie: Als Martin Schulz seinen Anspruch auf das Amt des Außenministers formulierte, konterte Gabriel, seine Tochter freue sich, dass er nun mehr Zeit für sie habe, statt für diesen „Mann mit den Haaren im Gesicht“.
Das neue Machtzentrum der Sozialdemokraten bilden Andrea Nahles und Olaf Scholz. Aber sie setzen nicht mehr auf Alleingänge, sondern fordern Teamarbeit ein. Gabriel und Schulz wirken da schon jetzt wie Dinosaurier. Franziska Giffey kommt wie ein glaubwürdiger Gegenentwurf daher. Sie ist erst 39 Jahre alt, stammt aus Ostdeutschland und beweist als Bürgermeisterin des Problembezirks Berlin-Neukölln, dass sie zuzupacken versteht. Giffey als Familienministerin könnte für die SPD ein entscheidendes Puzzlestück auf dem Weg zum Neustart werden. Weniger spektakulär, aber durchaus überzeugend sind die Minister-Personalien Heiko Maas (Außen) und Katarina Barley (Arbeit und Soziales).
Trotz der in jüngster Zeit katastrophalen Umfragewerte stehen die Chancen für eine Wiederbelebung der Sozialdemokraten nicht so schlecht, wie landauf landab behauptet wird. Maßgeblich dürfte sein, dass es der Partei gelingt, ihre Erfolge beim Regieren in Berlin selbstbewusst zu verkaufen. Genau das hat in der alten Groko nicht geklappt. Siehe Mindestlohn. Lange von ihrer Partei bekämpft, ist es Angela Merkel gelungen, das Projekt letztlich als ihren Erfolg zu verbuchen. Solche Fehler darf die SPD nicht wiederholen. Das wird ihr in der neuen Groko auch deshalb leichter fallen, weil die Position der Kanzlerin deutlich an Stärke verloren hat. Merkel ist ein Auslaufmodell. Und die SPD hat etwas vorzuweisen: Grenzen bei der Befristung von Arbeitsverträgen oder eine Solidarrente für Geringverdiener gehen auf das Habenkonto der Sozialdemokraten.